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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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über das eine Ohr hängend. Das Bild hatte etwas Impressionistisches und Unruhiges, wie bei einem Amateur, der sich nicht ganz sicher war, ob er es sofort treffen würde, oder wie bei einem Künstler, der genau weiß, was er tut. Ich ließ den Zweifel für den Angeklagten sprechen. Es war ein gutes Porträt, denn es lebte.
    Er kam zurück, in der einen Hand die Teekanne, in der anderen eine Tasse. Er selbst benutzte die Tasse, die noch auf dem Tisch stand und in der noch kalter Tee war. Er füllte frischen nach.
    Ich probierte den Tee. Er schmeckte säuerlich und bittersüß nach Kräutern. Die Mischung war gut, man bekommt sie in einigen Gesundheitskostläden, aber man braucht ein solides Einkommen, um sich leisten zu können, dort einzukaufen.
    »Also Peter ist verschwunden«, sagte Bjørn Hasle nachdenklich. »Ich habe ihn kennen gelernt, als wir die Einführungskurse machten«, fügte er hastig hinzu, wie um weitere Fragen zu verhindern. »Das heißt, als ich … Er hat nicht weitergemacht. Ich glaube, er war nie wirklich motiviert, zu studieren. Es hatte sich einfach so ergeben. Er kam auch nicht besonders gut mit den anderen Studenten aus, hat selten mit jemandem geredet.«
    »Aber …«
    »Ich bin es gewöhnt – offen zu sein. Ich mag Menschen, die nicht – die anders sind, als man es erwartet, an dem Ort, wo man sie trifft, wenn Sie verstehen, was ich meine. Also, als ich in den Sommerferien in Oslo am Kai gearbeitet habe, da habe ich – da gab es einen Stauer, der hatte alles gelesen was Dostojewski jemals geschrieben hat. Er konnte stundenlange Vorträge über seine Bücher und über seine Philosophie halten und – gleichzeitig stapelte er Apfelsinenkisten aus Israel. Jaffa. Trauben aus Kalifornien. Maschinen aus Deutschland, Ost und West. – Und Peter … Er hatte etwas James-Dean-Artiges. Er war ein Rebell, seine Freunde waren Kriminelle und er – er nahm … Er …« Er hielt inne.
    »Ich weiß, dass er Drogen genommen hat«, sagte ich. »Du brauchst – nichts zu verheimlichen.«
    »Na gut. Er gehörte irgendwie noch zur Beat-Generation, wenn Sie mal von … Kerouac und Ginsberg und dem ganzen Haufen gehört haben? Neal Cassady. Drogensüchtige, Poeten.«
    »Hat er geschrieben?«
    »Nein, nein. Aber er war in jedem Fall … Wir kamen ins Gespräch. Ich – ich glaube, er mochte mich. Er merkte wohl, dass ich ihn irgendwie – bewunderte. Es gefiel ihm, mich zu schockieren.« Ein verklärtes Lächeln huschte über sein schmales Gesicht. »Er hat mir von – Einbrüchen erzählt, von Diebstahl, davon, wie er sich das Geld für … für – Prostitution, wie er … von Drogen-Orgien … mit kleinen Mädchen oder – mit anderen Jungs. Er erinnerte mich an Rimbaud. Er – ich glaube – vielleicht hat er das meiste auch erfunden, nur um mich zu schockieren. Und ich – ich habe alles geschluckt.«
    Er trank einen Schluck Tee und sah verträumt vor sich hin. »Er – Sie müssen verstehen, ich komme … genau wie er, der gleiche gutbürgerliche Hintergrund, aber aus Hamar. Ich – war noch nie mit – hatte von so vielem noch nie gehört. Es war eine neue Welt. Nicht dass ich eine Novize gewesen wäre, ich meine, ich hatte natürlich gelesen über … Aber das hier war – nicht Ausland, nicht USA oder Kopenhagen – oder Tanger. Es war hier, in Norwegen, in Bergen, ganz nah und sehr gefährlich.«
    »Hat er dich auch dazu gebracht, es – auszuprobieren?«
    Sein Blick streifte kurz meinen Mund, um dann wieder neben mir hängen zu bleiben. »Einmal …«, sagte er heiser. »Wir haben beide eine Zigarette – wir haben Hasch geraucht, und er … Wir … Ein anderes Mal hatte er eine Spritze dabei, und ich – aber ich habe mich nicht getraut. Ich hatte zu viel Angst. Angst, die Kontrolle zu verlieren, nicht zu wissen, was ich tue, wer ich war. Aber er tat es. Und ich sah zu. Er – sein Körper spannte sich wie ein Bogen und sein ganzes Gesicht war ein einziges Lächeln … und dann – dann brachen seine Augen. Und hinterher weinte er. Haben Sie – haben Sie es mal gesehen?«
    Ich nickte düster. »Ich habe sie – hinterher gesehen. Und das hat gereicht. Du solltest froh sein, dass du – dich nicht getraut hast.«
    »Danach – kam er seltener. Jetzt ist es schon ziemlich lange her. Ja, seit dem Spätherbst, letztes Jahr. Ich weiß es nicht mehr so genau, aber es war ein paar Wochen vor Weihnachten. Es war mitten am Vormittag, und er kam hier rauf, unrasiert und ungewaschen und schwebend auf …

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