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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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stundenlang hin und her schwingt, ab und zu bis zum nächsten Tag. Aber ich spreche sie nie an.
    Ich weiß nicht, warum ich anfing, über die Einsamkeit nachzudenken. Vielleicht war es die Begegnung mit Bjørn Halse gewesen. Ich sah zum Fløien hinauf, dachte an die Waldwege dort oben, dachte an die angenehme Einsamkeit dort oben, daran, allein zwischen den Bäumen zu wandern … Dann fielen mir die Male ein, wo ich dort zusammen mit einem anderen Menschen gegangen war – und das war meistens noch schöner gewesen.
    Ich ging zurück über die Torgalmenning. Es war Festspielzeit und dort standen Skulpturen ausgestellt. Eine Horde Kinder kletterte den Rücken eines riesigen Dinosauriers hinauf, der aus Holz und Eisen gefertigt war. Rundherum auf den Bänken saßen Menschen: Frauen, junge Frauen, reife Frauen, schwangere Frauen, verliebte Paare – und alte Leute. Manche saßen allein, vor allem einige junge Menschen.
    Und auf der Schattenseite der Almenning wanderte ein schäbiger, 37 Jahre alter Privatdetektiv und dachte über die Einsamkeit nach.
     
    Das Hotel lag in einer stark befahrenen Straße im Zentrum unter einem Firnis von grauem Staub. Man konnte kaum die Fugen in der Fassade erkennen. Die Markise über dem Eingang hing in der Mitte traurig herunter. Sie musste einmal rot gewesen sein, aber das war schon eine Weile her.
    Ich trat an die Rezeption. Es wirkte dort ziemlich dunkel, wenn man aus dem grellen Sonnenlicht kam, und ich blinzelte. Die meisten Schlüssel hingen an ihrem Platz. Es gab noch viele freie Zimmer.
    Als ich dieses Etablissement das letzte Mal besucht hatte, hatte der Hotelportier seine Frisur von einer Billardkugel abgeguckt. Jetzt stand dort das andere Extrem. Dieser hatte viele Haare, viel Bart, aber der Raum dahinter war minimal ausgestattet. Jedenfalls sah es hinter seinen Augen ziemlich leer aus. Sie waren blass und graublau, sein Haar schmutzigbraun, und der Bart hatte einen roten Schimmer. Er las in einem dieser Comics. Als ich hereinkam, hob er langsam den Blick und senkte ihn ebenso langsam wieder. Er musste nur die Geschichte zu Ende lesen. Ich kannte den Service in diesem Hotel schon, und ich kannte den Grund. Die Gäste, die dort einkehrten, blieben selten länger als eine Stunde oder zwei. Einen Koffer sah man dort ein- oder zweimal im Monat, und ein Teil der Einnahmen tauchte in keiner Buchhaltung auf.
    Ich wollte mich gerade über den Tresen beugen, aber eine Mauer aus Schweißgeruch hielt mich zurück. Ich begnügte mich damit, zu sagen: »Was Neues auf der Kulturseite? Oder sind es die Auslandsreportagen, die dich so fesseln?«
    Er sah wieder auf, genauso langsam wie eben, aber seine Replik hätte doch recht schlagfertig sein können, wenn er nicht ebenso umständlich gesprochen hätte, wie er den Kopf bewegte. Er seufzte schwer und sagte: »Noch so ein Bodybuilder, der seine Zunge trainieren will? Kannst du das nicht draußen machen? Da rennen auch all die anderen Jogger rum.« Dann wandte er sich wieder seinem Heft zu.
    Ich sagte: »Ich war eigentlich auf der Suche nach einem alten Bekannten …«
    Keine Reaktion.
    »Ich gehe davon aus, dass er immer noch hier anzutreffen ist.«
    Er blätterte um.
    »Peter Werner nennt er sich – manchmal.«
    Langsam sah er wieder auf. Seine Lippen bewegten sich, als wolle er etwas sagen, aber es gelang ihm nicht. Ich sah ihn abwartend an, und endlich kam ein: »Ja?«
    »Ja. Er ist doch da, oder?«
    Er sah mich nur an, ohne die geringste Regung. Allerdings wirkte er interessierter als vorher.
    »Der Punkt ist«, sagte ich, »der Punkt ist, dass ich ihm eine Menge Geld schulde – und er hat mich gestern Abend angerufen und gesagt, dass er nicht mehr genug Bargeld in der Tasche hätte, um hier seine Rechnung zu bezahlen, und dann … Ob ich rüberkommen könnte? Du verstehst?«
    Er verstand. »Er ist auf seinem Zimmer«, sagte er. »Ich hab ihn heute noch nicht gesehen.«
    Ich sah demonstrativ auf die Uhr und er fuhr fort: »Er hatte gestern Besuch.« Und dann blinzelte er mir zu. Auch das ging nicht besonders schnell, aber er blinzelte, klar und deutlich.
    »Ach … Besuch«, sagte ich. »Welche Nummer war das noch?«
    »219«, sagte er.
    Ich ging hinauf. Der Fahrstuhl funktionierte, aber er sah aus, als könne er seinen Geist aufgeben, wenn jemand ihn betrat. Hinter mir wandte sich der Portier wieder seinem Kindercomic zu. Ich nahm die Treppe hinauf in den zweiten Stock.
     
    Das Zimmer 219 lag ganz am Ende des Korridors links. Der Weg

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