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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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dasselbe, was ich Vadheim am Tag zuvor erzählt hatte. Er nahm es auf, ohne einen einzigen Gesichtsmuskel zu bewegen. Sein Gesicht war sowieso schon traurig genug. Das graue Haar war gekämmt, aber er hatte sich nicht rasiert. Seine Bartstoppeln waren deutlicher zu sehen als am Tag zuvor.
    Erst als ich ihm erzählte, wie Vadheim, Roostrup und ich zum zweiten Mal auf das Zimmer gegangen waren, und wie wir gesehen hatten, woran Peter gestorben war, sackte er zusammen. Es war, als würde die Luft aus ihm heraussickern, und er wurde kleiner. Er schien sich um seine Kaffeetasse zu krümmen, die er mit beiden Händen festhielt, aus Angst, sie zu verlieren. Dann unterbrach er mich: »Man – man wünscht seinen Kindern so etwas nicht, Veum. Nicht einen solchen Tod. Man – man zeugt sie und bringt sie zur Welt, und sie werden groß. Man versucht, sie zu erziehen, und manchmal gelingt es, andere Male – geht es schief. Wenn sie klein sind, spielt man zu wenig mit ihnen. Wenn sie groß werden, redet man zu wenig mit ihnen. Warum scheint es so schrecklich schwer zu sein, Veum – miteinander zu spielen, zu reden? Ich verstehe das nicht. Und dann rechnet man ja damit, dass man vor ihnen stirbt. Man denkt niemals, dass die Kinder vor einem selbst sterben könnten, auch wenn man sicher oft genau davor Angst hat. Wenn sie klein sind, hat man Angst vor dem Verkehr. Später ist es – all das andere. Aber eigentlich glaubt man nicht, dass man das einmal erleben wird – sie zum Grab zu begleiten. Es sollte umgekehrt sein! Und wenn – wenn es denn so sein soll – dann wünscht man ihnen jedenfalls nicht einen Tod – einen Tod wie diesen …« Er sah von der Tischkante zu mir auf.
    Aber ich konnte nichts Tröstliches sagen, außer: »Nein. Natürlich nicht. Natürlich.«
    »Was Sie jetzt erzählt haben, der, von dem Sie gesprochen haben, das war nicht Peter. Das war ein Fremder, einer, den ich nicht kannte. Früher einmal habe ich ihn vielleicht gekannt. Vielleicht. Denn sie werden uns viel zu fremd. Schon wenn sie als Säuglinge in ihrem Bett liegen und weinen – und wir nicht wissen, warum. Und später, da leben sie zwei Leben, eines zu Hause bei uns, und eines auf der Straße, im Kindergarten, in der Schule … Zu Hause können sie höflich und wohlerzogen sein, draußen fluchen sie und sind verdammte Asoziale. Und das erleben nicht nur wir so. Viele andere – haben auch Fremde großgezogen.« Nach einer Pause sagte er: »Eltern und Kinder.« Es klang, als spräche er von zwei verschiedenen Volksgruppen, als sagte er, Juden und Palästinenser. Jedenfalls klang es nicht sonderlich optimistisch.
    »Vielleicht war ich zu wenig zu Hause. Und wenn ich zu Hause war, war ich doch nicht anwesend, wenn Sie verstehen. Ich weiß nicht, wann es schief geht, wann man entdeckt, dass es so schief gelaufen ist, dass man nicht mehr auf den richtigen Kurs kommen kann. Peter …« Er zuckte mit den Schultern. »Ingelin: Mit ihr ist es besser gelaufen, bis jetzt. Aber auch sie ist eine Fremde, in vieler Hinsicht. Auch bei ihr habe ich nicht das Gefühl, sie zu – kennen.«
    »Ich würde sie gerne – sprechen.«
    »Ingelin? Warum denn das?«
    »Na ja, ich weiß nicht. Vielleicht kann sie etwas – erzählen?«
    »Erzählen? Ingelin?« Plötzlich klang seine Stimme feindlich. »Worüber?«
    »Vielleicht – von Peter. Es ist oft – Geschwister wissen oft mehr übereinander, als die Eltern.«
    »Gut, aber …«
    Die Tür quietschte und wir sahen beide auf.
    Vera Werner füllte die Türöffnung, breit und weiß. Sie trug ein langes, weißes Nachthemd. Unter dem dünnen Stoff hingen ihre Brüste schwer bis zur Taille. Ihr Gesicht wirkte merkwürdig abwesend. Sie stützte sich mit einer Hand an den Türrahmen. Im Gegensatz zu ihrem Mann war sie nicht zusammengeschrumpft. Sie war eher ausgeufert, und ihre Bewegungen hatten etwas Mechanisches. Werner sagte: »Vera – du hast dich nicht …«
    »Håkon? Bist du – allein? Mit wem redest du, Håkon? Ich wollte es nicht – es war nicht meine – Schuld.«
    »Vera …«
    »Es war nicht, weil ich – weil – dass …«
    »Vera!« Seine Stimme klang jetzt schärfer, und er war auf dem Weg zu ihr. Weicher sagte er: »Vera, Veum ist hier. Veum, der Detektiv.«
    »Guten Morgen«, sagte ich und stand auf. »Es tut mir furchtbar Leid – was geschehen ist, Frau Werner. Mein herzliches Beileid.«
    »Danke«, sagte sie automatisch und sah sich mit hektischen Blicken um. Endlich fand sie mich.

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