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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Dann setzte sie sich wieder auf ihr Sofa.
    Es war kein typisches Schulmädchenzimmer. Neben dem Sofa gab es noch einen Schreibtisch und einen Stuhl dazu. Auf einem Bücherregal standen Schulbücher, verschiedene Taschenbücher, Zeitschriften, ein alter Plattenspieler und ein ganz neuer Kassettenrecorder. An den violett gestrichenen Wänden hingen Plakate von Popstars der letzten Jahre – und eins von Simone de Beauvoir. Das letztere verriet, wie das Buch, in dem sie las, dass sie auf dem Sprung von einer Welt in eine andere war, vom Kind zur Erwachsenen. Für manche war es ein weiter Sprung, für andere war er ziemlich leicht. Manche durchlebten den Übergang schmerzlos, andere würden für den Rest ihres Lebens davon geprägt sein.
    Ich sagte: »Nein, ich bin nicht von der Polizei.«
    Sie sah mich fragend an, aber mit einem reifen, abwartenden Gesichtsausdruck.
    »Ich bin privater Ermittler, und ich war es, der ihn – der den Auftrag hatte, Peter zu suchen, als er verschwunden war. Du kannst mich also sofort rausschmeißen, wenn du willst. Du brauchst nicht mit mir zu reden. Es war deine Mutter, die absolut wollte, dass ich dich kennen lerne.«
    Sie sagte leichthin: »Ich kann gern mit Ihnen reden, ich – wenn wir etwas zu bereden haben.«
    »Das haben wir sicher. Wir könnten über Sartre sprechen. Oder über Peter.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Fenster zeigte zum Nachbarhaus, zu Halles. Dort waren die Fenster leer und tot. Hinter einigen brannte Licht, aber sonst gab es kein Zeichen von Leben. Der grauweiße Himmel gab dem ganzen Bild etwas Erfrorenes, Erstarrtes. Es war Freitag und die Welt schien stehen geblieben zu sein.
    »Warum warst du gestern bei ihm, zum Beispiel?«
    Sie sagte: »Das war eine Verabredung, die wir hatten, schon ganz lange.«
    »Eine Verabredung?«
    »Ja. Immer, wenn er nicht nach Hause kam, dann wusste ich, wo er war. Dann rief ich ihn an und machte eine Zeit aus, und dann kam ich – mit Essen. Früher hatte ich auch immer Bücher dabei, aber jetzt … Er hatte aufgehört zu lesen.«
    »Und das Essen, das bekamst du von …«
    Sie nickte. »Das habe ich von hier mitgenommen. Aus dem Kühlschrank oder aus der Gefriertruhe – oder ich kaufte es für das Geld, was ich gerade hatte.«
    »Aber deine Eltern – haben sie es nicht bemerkt? Dass das Essen weg war?«
    Sie zuckte wieder mit den Schultern. »Die haben jedenfalls nie was gesagt. Außerdem nahm ich auch nicht so viel, und es ist immer so viel da.«
    »Aber warum?«
    »Warum? Er brauchte doch was zu essen, und er hatte Probleme, oder? Er war mein Bruder und ich musste ihm helfen.«
    »Und trotzdem geht es dir nicht so schrecklich nah, dass er tot ist.«
    »Doch – nah … Ich – ich hatte es ja erwartet.«
    »Dass er ermordet werden würde?«
    »Dass er sterben würde.« Mit der ihrer Generation eigenen, erlernten Weltgewandtheit sagte sie: »Er nahm schließlich Drogen.« Als würde sie sagen: Er war schließlich aus Bergen.
    »Also du wusstest es?«
    »Natürlich. Das war leicht zu erkennen. Man kann es ihnen schließlich ansehen.«
    »Und du – hast du ihm vielleicht auch manchmal Geld gegeben?«
    Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Nein. Ich wusste, dass er Drogen nahm, und ich konnte nichts tun, um ihn davon abzubringen, aber ich habe ihm nicht dabei geholfen, sie sich zu besorgen.« Du lieber Gott, was für Sechzehnjährige sie heute produzieren, dachte ich im Stillen. So waren sie nicht, zu meiner Zeit. Und das war gar nicht so lange her …
    »Aber begreifst du denn nicht … Indem du ihm Essen gegeben hast, hast du ihm geholfen, seine Sucht weiter auszuleben. Er sparte Geld, damit er sich mehr – Drogen kaufen konnte.«
    »Na ja, aber … Außerdem war es spannend.« Es zitterte leicht in ihrem Gesicht. Ihre Haut hatte einen dunklen Teint, was ihr zusammen mit den dunklen Haaren fast ein südländisches Aussehen verlieh. »Dann – passierte wenigstens etwas. Mama und Papa durften nichts davon wissen, deshalb – ich habe mich nachts runtergeschlichen und das Essen geholt und es dann hier versteckt, in meinem Zimmer, bis zum nächsten Tag. Und dann bin ich zu ihm gefahren.«
    »Ins Hotel?«
    »Ja.«
    »Immer ins Hotel?«
    »Ja.«
    »Der Portier sollte dich also mittlerweile kennen?«
    »Ja – ich weiß nicht. Da sind ja mehrere, und ich rede nie mit ihnen. Ich sage nur wer ich bin und zu wem ich will, und ich weiß ja, dass er da ist, weil er doch auf mich wartet.«
    Wartete, sagte ich zu mir selbst: Er

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