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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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gesprochen. Peter hat erzählt, dass er es von anderen erfahren hat, aber er sagte nicht, von wem. Und ich tat, als hätte ich es vergessen – Lisa gegenüber. Aber ich hab Halle hinterher irgendwie anders gesehen. Und Mama auch. Er ist ja jetzt uralt, aber trotzdem sieht er ganz gut aus – und früher … Ich würde mir fast wünschen, Mama hätte ihn genommen, manchmal jedenfalls. Aber dann – dann wäre ich ja nicht auf der Welt, stimmt’s? Und deshalb – das ist alles nur Blödsinn.«
    »Ja. Hör zu, Ingelin, eine kleine Frage. Als du gestern bei Peter warst, sah es da aus, als würde er jemanden erwarten?«
    Sie dachte nach. »Er hatte nur einen Morgenmantel an. Aber er hatte sich gerade rasiert. Ich konnte sein Rasierwasser riechen. Es roch nach Kiefernnadeln. Und als ich ungefähr eine Stunde da gewesen war, sagte er plötzlich, ich müsse gehen, und dann … Doch, jetzt, wo Sie es sagen – er erwartete vielleicht jemanden. Ich dachte, er wollte vielleicht ausgehen.«
    »Hat er das oft gemacht – auf diese Weise von zu Hause wegzubleiben?«
    »Oft? Tja, es gab so Phasen. Ab und zu war es vielleicht oft. Ab und zu dauerte es auch sehr lange, bis er es wieder tat. In der letzten Zeit war es oft. Letztes Jahr im Winter – also nicht diesen Winter, sondern im Winter davor –, da hat er fast ein halbes Jahr nur zu Hause gewohnt. Damals war er ja auch clean …«
    »Das ging also schon ziemlich lange so?«
    »Seit diesem Sommer damals. Aber nie so oft wie – jetzt.«
    »Fandest du es nicht merkwürdig, dass er so was tat?«
    »Nein, warum? Ich …«
    Aber weiter kam sie nicht, denn die Tür ging auf und Håkon Werner kam herein. »Ingelin – ist deine Mutter nicht hier?« Seine Stimme war dünn, und er hatte rote Flecken im Gesicht. Mich sah er nicht an.
    Ingelin antwortete: »Nein. Sie ist ins Bett gegangen. Sie fühlte sich nicht so …«
    »Nein, ich weiß. Hat dieser Mensch dich genervt?«
    »Ich …«, begann ich.
    »Wonach haben Sie sie gefragt?«, bellte er mich an. Er schien vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.
    »Wir haben nur ein bisschen über – über Sartre geredet«, antwortete Ingelin für mich.
    Er sah fast sprachlos aus. »Über – wen?«
    »Über Sartre.« Sie hielt ihm das Buch hin.
    Er sah vom Buchumschlag zu mir. Es war eine dieser stilisierten Illustrationen aus der ersten Blütezeit der Taschenbücher. »Mir ist selbst ganz schlecht«, sagte er.
    Ich sagte nichts. Ingelin zog das Buch zurück.
    Er wandte sich wieder an mich. »Sie sollten gehen, Veum. Ich denke, Sie sind schon unterwegs.«
    »Das bin ich.«
    Er hielt mir die Tür auf. Hinter seinem Rücken blinzelte Ingelin mir zu. Ich konnte nicht zurückblinzeln, denn er starrte mir direkt ins Gesicht. Also sagte ich nur: »War nett, mit dir zu reden, Ingelin. Mach’s gut.«
    Draußen vor ihrer Tür fasste Werner mich am Arm und hielt mich auf. »Waren Sie lange allein, Veum?«
    Ich verstand seine Aufregung gut; es war nicht schwer, sie sich zu erklären. Ich sagte mild: »Nein, nein. Ihre Frau ist gerade erst gegangen.«
    Sein Gesichtsausdruck entspannte sich etwas. Gern hätte ich ihn – oder seine Frau – gefragt, wie lange es her war, seit sie mit Niels Halle verlobt gewesen war. Aber ich wusste, dass dies nicht der richtige Augenblick dafür war und sagte nur: »Sie sollten die Polizei anrufen, Werner, bevor sie es dort selbst herausfinden. Das lohnt sich immer.«
    Er sah mich ärgerlich an. »Sie haben die Ähnlichkeit also erkannt? Dieses dumme Kind! Sie hätte jedenfalls Bescheid sagen können. Das hier wird … mein Gott, das wird zu viel für Vera, Veum.« Er sah aus, als sei es auch für ihn zu viel. »Aber ich werde anrufen. Ganz bestimmt.«
    »Das wäre das Sicherste. Trotz allem war ja die andere Frau nach Ingelin bei ihm. Mehr als zwei Stunden. Und sie hätte sicher kaum so viel Zeit mit einer Leiche verbracht.«
    Er sagte scharf: »Passen Sie auf, was Sie sagen, Veum. Sie reden mit einem Mann, der gerade seinen Sohn verloren hat.«
    »Okay«, sagte ich. »Tut mir Leid.«
    »Jetzt sollten Sie gehen, Veum. Danke, dass Sie gekommen sind.«
    »Ich danke Ihnen.«
    Ich ging die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle mit der hohen Decke, den Plattenweg entlang, durch die Pforte und auf die Straße. Ich setzte mich in mein Auto und fuhr los – sechzig Meter die Straße entlang. So weit, dass er mich nicht mehr sehen konnte. Dort blieb ich hinter dem Steuer sitzen – und dachte nach.

21
    Es nieselte.

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