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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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zurückkommt, aber hör zu, Veum, der guten alten Zeiten wegen … Ich habe eine Idee. Ich gebe eine Art Party heute Abend. Offenes Haus. Freitagabend und so weiter. Ove kommt und ein paar andere Leute. Du kannst ja dann mit ihm reden, oder? Nimm eine Flasche mit und komm vorbei …« Er überlegte eine Sekunde und fügte hinzu: »Unter einer Bedingung.«
    »Ach ja? Und welcher?«
    »Dass du dir keine der ledigen Damen unter den Nagel reißt. Ja, natürlich auch keine von den Liierten.« Er lachte schallend und klopfte mir auf die Schulter zum Zeichen, dass das ein Witz gewesen war. »Na, kommst du?«
    »Ich weiß nicht, ich …«
    »Na los, Veum! Du siehst ziemlich trübsinnig aus. Ein netter Abend wird dir gut tun, und dann kannst du auch mit Ove sprechen. Verbinde das Nützliche mit dem Angenehmen – besser kann es doch nicht sein, oder? Du weißt, wo ich jetzt wohne?«
    »Nein.«
    »Draußen in Nordnes, in einem der neuen Blöcke beim Gemeindehaus, die Nykirkealmenning hoch und dann rechts.« Er gab mir die genaue Adresse.
    Doch, ich wusste, wo es war. Ich hatte einmal einen guten Freund gehabt, der in einem der Holzhäuser gewohnt hatte, die sie abgerissen hatten, um die neuen Blocks zu bauen. Aber das war eine Weile her, und ich hatte ihn seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Ich sagte: »Na ja, okay. Wann soll ich kommen?«
    »Komm einfach, wann du willst, aber nicht vor acht. Ich muss erst noch Staub saugen. Und Veum – denk an die Flasche!«
    Ich nickte müde. Ich würde an die Flasche denken. Und ich würde versuchen, nicht mit einer der ledigen Damen abzuziehen. Und auch nicht mit einer der Liierten. Ich würde mit Ove Haugland reden und mit meiner Flasche Konversation treiben. Ich würde mich ordentlich und gebildet benehmen und niemandem den Abend verderben.

22
    Im Laufe des Nachmittags verzogen sich die Wolken wieder. Trotzdem war die Luft verändert: kalt und klar, als sei es Herbst. Der Himmel wölbte sich im Norden steil und hell, und ein kühler Wind blies scharf vom Meer herein. Unten am Marktplatz stand auf dem frisch gespülten Asphalt ein einsamer Prediger mit einer Lautsprecheranlage und einem Akkordeon. Er sprach von Jesus vor tauben Ohren, malte ein Bild des Himmeltores für blinde Augen. Er hatte ein mageres, helles Gesicht, das wenig optimistisch dreinschaute, und er hatte schon dort gestanden seit ich denken konnte. Auf dem Weg nach Nordnes blieb ich stehen und hörte ihm zu. Auf eine Weise fühlte ich mich ihm verwandt. Als er seinen Gesang beendete, nickte er mir mild zu – seinem einzigen Zuhörer.
    Der Freitagabend in der Stadt gehört der Jugend; der Jugend der neuen Zeit, in ihren kurzen Jacken, mit ihren gut frisierten Köpfen, ihren offenen Hemden, die Bierflasche zum Mund und die Augen zum Himmel gewandt. Lautstarke, schnatternde Jungen und Mädchen mit gellenden, kichernden Lachanfällen. Zwei halbe Pils und sie sind so blau, dass sie kaum noch gehen können. Wie die Jugend zu allen Zeiten ist es eine Generation schlechter Schauspieler. Nur die Idole sind neu. John Travolta statt James Dean.
    Draußen bei Paul Finckel feierte eine Generation, die längst ausgemustert war. Die Musik, die man bis unten ins Treppenhaus hören konnte, war von den Beach Boys. Ihre Chorstimmen lagen in Schichten übereinander, und die Gitarren hatten den runden, romantischen Klang der sechziger Jahre.
    Als ich klingelte, reagierte niemand, aber als ich versuchte, die Tür zu öffnen, zeigte sich, dass sie nicht verschlossen war. Ich öffnete und eine Welle von Musik, Stimmen, Zigarettenrauch und Alkoholdunst schlug mir entgegen.
    Im Flur fand ich den Gastgeber, mit ausladendem Bauch, verschleiertem Blick, eine brennende Zigarette in der einen und ein halb volles Glas in der anderen Hand. Ein schlaksiger, magerer Typ mit relativ kurzem Haar und einem gepflegten roten Bart beugte sich zu ihm hinüber. Er kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Auch er schwenkte ein Glas in der Hand, und als ich hereinkam, sagte er: »Das Problem mit Brett ist natürlich, dass sie frigide ist.«
    Paul Finckel nickte matt und zustimmend. Dann wurde er auf mich aufmerksam, und sein Gesicht leuchtete auf. »Hei – Varg! Ich hatte schon gedacht, du würdest nicht kommen. Komm rein, leg ab! Kennst du Reidar Manger?«
    Jetzt konnte ich ihn einordnen. Ich sagte: »Nein. Guten Tag. Mein Name ist Veum. Varg Veum.«
    Er gab mir die Hand, ohne auf den Namen zu reagieren. Finckel sagte: »Varg ist ein ziemlich

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