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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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langsam den Telefonhörer und wählte mit trägen Fingern die Nummer der Zeitung. Als ich nach Ove Haugland fragte, stellte sich heraus, dass ich mich verwählt hatte.

29
    Ich wählte die Nummer noch einmal, und diesmal bekam ich ihn an den Apparat. Ich erzählte ihm von meinem Ausflug nach Holsnøy, und er pfiff und brummte und räusperte sich auf eine Weise, die mir zu verstehen gab, dass er von dem, was er hörte, sehr angetan war.
    Zum Schluss fragte ich: »Na? Was sagst du dazu? Reicht das?«
    »Wofür?«
    »Na ja, für eine ordentliche Schlagzeile – oder um das Interesse der Polizei zu wecken.«
    »Das Letztere musst du die Polizei fragen. Was das Erstere betrifft … Ich denke wohl.« Er sprach etwas gedehnt. »Ich würde zu gern das Rechnungsbuch sehen, in dem du Jonassen hast schreiben sehen – da draußen. Nach unseren Informationen kann es ja eine völlig legale Sache sein, selbst wenn ich einräumen muss, dass es ganz und gar nicht danach aussieht. Gib mir einen Tag oder zwei, um die Stimmung hier im Hause ein bisschen zu sondieren. Okay?«
    »Klar. Von mir aus kannst du damit machen, was du willst. Ich habe es dir erzählt, weil ich versprochen habe, es dir zu erzählen – wenn ich etwas herausfinde. Als eine Art Dank für deine Hilfe. Ich werde ja sehen, was daraus wird. In der Zeitung, meine ich.«
    »Ja. Okay. Danke dir, Veum. Wenn ich dir wieder mal behilflich sein kann, dann …«
    »Das kannst du sicher, Haugland, ganz sicher.«
    »Tja dann, tschüs!«
    »Mach’s gut.«
    Ich blieb sitzen und betrachtete das Telefon. Nun gut, schließlich gehörte dem Kerl die Zeitung nicht. Vielleicht war es an der Zeit, dass ihm das klar wurde.
    Und wieder saß ich da, immer noch rastlos, immer noch aufgedreht. Ich dachte nicht mehr an Arve Jonassen. Ich dachte an Peter Werner und an seine Mutter, Vera Werner, und an seinen Vater, Håkon … Das heißt: an Niels Halle, und an Lisa. »Peter Halle?«, sagte ich laut vor mich hin, als übte ich ein Schlagwort oder ein Pseudonym.
    Jetzt war ich tatsächlich neugierig geworden. Aber ich durfte es nicht sein. Ich konnte im Mordfall Peter Werner keine Nachforschungen anstellen. Das war Sache der Polizei. Aber ich konnte immerhin – Lisa einen Besuch abstatten? Einen Freundschaftsbesuch? Hören, wie es ihr ging? Ob ihr das Essen dort gefiel? Ob sie die Aussicht aus ihrem Fenster mochte, ob sie mir etwas zu erzählen hatte?
    Zwei Frauen hatten Peter Werner an dem Abend, als er ermordet wurde, besucht. Die erste war seine Schwester Ingelin gewesen. Und die andere? Irene Jonassen – vielleicht doch? Oder eine andere? Lisa war es nicht, sie war zu jung. Lisas Mutter auch nicht, sie war nicht der richtige Typ, und ich musste mich anstrengen, um mich überhaupt an sie zu erinnern. Auch nicht seine Mutter, nicht in dem Aufzug …
    Lisa würde es vielleicht am ehesten wissen, wer ihn sonst noch besucht haben könnte. Lisa hätte mir möglicherweise so einiges zu erzählen, wenn ich zu ihr hineinkam, wenn sie überhaupt mit mir sprechen wollte, wenn, wenn, wenn …
    Ich sah auf die Uhr. Es war schon Viertel nach drei, mitten zwischen allen erdenklichen Besuchszeiten. Aber vielleicht war das gerade …
    Ich verließ mein Büro, fand mein Auto dort, wo ich es geparkt hatte, ohne den kleinsten Strafzettel an der Windschutzscheibe, und stotterte mich durch die beginnende Hauptverkehrszeit voran, wo Busse und Privatwagen sich in langen Schlangen vor den Ampeln stauten, während verschreckte Fußgänger über die Straße eilten, wenn sie kurz die grünen Männlein erblickten.
    Ich fuhr in Richtung Süden, den alten Viehpfad über Kalfaret entlang, in Richtung Ulriken und zu dem großen, neuen Krankenhauskomplex, der dabei war, sich den größten Teil des Stadtteils am Fuße der Berge einzuverleiben. Wer damals das Krankenhaus genau dort erbaut hatte, hatte Sinn für erbauliche Details, denn kurz vorher kam man an einem Friedhof vorbei.
    Die psychiatrische Klinik lag oben am Hang, außerhalb des Klinikgeländes, wo die hohen Kräne wie versteinerte Störche über das Ganze hinausragten. Als ich geparkt hatte und ausgestiegen war, sah ich auf den neuen Block hinunter, der längst das alte Krankenhaus zu einem Häufchen von Puppenhäusern gemacht hatte.
    Ich betrat die Klinik und ließ mir sagen, auf welcher Station Lisa lag. Ich nahm den Fahrstuhl. Im Stationszimmer traf ich auf eine freundliche Krankenschwester, die ihr Gesicht in milde, patientenfreundliche Falten gelegt hatte.

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