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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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altmodische Kleider, und die meisten hatten langes Haar, und einer eine Gitarre. Es war ein Traum, den manche junge Menschen vor vielen Jahren geträumt hatten, dass es solche Orte gab, wo man sich niederlassen und auf der Gitarre rhythmische Melodien spielen und Hasch rauchen und sich in den Büschen lieben konnte, ohne zu sehen, mit wem man da lag. Ein Traum, in dem es keine Gelbsucht, chronische Leberentzündungen, innere Blutungen, Herzlähmungen und Syphilis gab. Ein Traum, in dem es keine Atomkraftwerke und Düsenflugzeuge und Polizisten mit Schlagstöcken gab. Ein Traum, in dem es niemals Winter wurde und man niemals alt wurde, und wo man selten Kinder bekam. Ein Nimmerland, und Peter Pan saß quicklebendig mitten zwischen ihnen, während Wendy auf dem Rücken lag und in den Himmel schaute.
    Viele von diesen jungen Menschen hatten sich für eine harte Landung entschieden. Sie waren plötzlich und brutal aufgewacht, und viele hatten den ersten wirklichen Schock nicht überwunden. Viele von ihnen bewohnten in Krankenhäusern Stationen wie diese, viele von ihnen hatten nach einem noch gefährlicheren Vergessen gesucht, und waren wie Lisa geworden.
    Das andere Bild war das Porträt eines Mädchens, ein Amateurbild. Das Mädchen sah Lisa recht ähnlich.
    Lisa war es, die die Stille zwischen uns brach und sagte: »Hast du ihn gesehen, Veum, als er …« Ihre Augen waren groß und hungrig.
    Ich sagte leise: »Ja. Ich habe ihn gesehen. Dazu ist nichts zu sagen, Lisa. Tote Menschen sind – tot. Ob sie nun auf die feine oder die andere Weise sterben.«
    »Aber …« Sie biss sich auf die Lippe. »Dass jemand …«
    Es wurde wieder still. Ich betrachtete das Bild und ich betrachtete sie. Doch, vor ein paar Jahren vielleicht. Mit etwas runderen Wangen und rundem Kinn. Noch ein bisschen weniger markant.
    Je älter man wird, desto ausdrucksloser erscheinen einem die Gesichter junger Menschen. Wenn man Frauen geliebt hat, die schon die ersten wirklichen Falten im Gesicht tragen, dann ist es nicht mehr leicht, sich in eine Siebzehnjährige zu verlieben. Wenn ich Lisa betrachtete, hatte ich den Eindruck, nicht nur sie zu sehen, sondern eine ganze Generation rastloser, konturloser junger Menschen – auf der Flucht vor der Leere, auf dem Weg nach Nirgendwo.
    »Wenn du nichts dagegen hast … Ich würde die Geschichte gerne von dir selber hören – die von dir und Peter.«
    »Warum?«
    »Warum nicht?«
    Einen Augenblick lang begegneten sich unsere Blicke. Das war eine Antwort, die sie verstand. Das war der Slogan ihrer ganzen Generation: Warum nicht? Dann kam die Antwort: »Tja. Es spielt ja jetzt sowieso keine Rolle mehr.«
    Sie rauchte ihre Zigarette zu Ende und zündete sich eine neue an. »Ich weiß nicht, was du genau hören willst.« Sie sah mich provozierend an und sah dann schnell wieder weg. Länger als ein paar Sekunden konnte sie ihren Blick nicht konzentrieren.
    Ich sagte: »Tja – wie hat es angefangen?«
    »Ich kann dir in jedem Fall erzählen, wann es angefangen hat, richtig wehzutun. Das ist über zwei Jahre her. Es war im Winter, und wir brauchten Geld. Und wir brauchten einen Schuss. Unbedingt! Wir waren eine Clique und saßen auf einer Bank im Nygårdspark, und es war scheißkalt, und wir haben überlegt, irgendjemanden niederzuschlagen, irgendeinen Rentner auszunehmen, der gerade Enten fütterte oder so was – aber dann sagte einer der Jungs: ›Wir brauchen nicht so drastisch zu werden – haben denn nicht die Mädchen was, was sie einsetzen könnten?‹ Und da sah Peter mich an, und ich hörte, wie er sagte: ›Klar, stimmt …‹ Da fing es an wehzutun. Wenn der, mit dem du seit fast einem Jahr zusammen bist und der der erste und einzige war … und den du liebst …« Sie hielt die Luft an, als würde sie darauf warten, ihr eigenes Wort zu hören, das eine schwierige Wort, das so leicht auszusprechen ist, aber so schwer zu verstehen. »Wenn er dich von jetzt auf gleich zu einer Hure macht – dann fängt es an, wehzutun.«
    »Aber – du hättest nein sagen können.«
    Sie sah mich höhnisch an. »Klar. Natürlich hätte ich nein sagen können. Zu Mama und Papa nach Hause fahren und auf dem Sofa Händchen halten und wieder Kinderfernsehen gucken. Verstehst du denn gar nichts? Die Phase ist vorbei. Dieses Leben war vorbei. Es gab keinen Weg zurück. Da war jetzt die Clique, wir waren die Clique, und wir brauchten einen Schuss – alle!«
    Ich sagte: »Tja …«
    »Einer von den Jungs hatte ein kleines

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