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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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dass sie verstehen muss, dass – dass er bleiben muss, wo er ist, und dass – dass er das Kind selbstverständlich begleiten wird wie sein eigenes – ja, und dass er ihr helfen wird, wenn sie es braucht – aber dass sie diskret sein muss und dass seine ganze Karriere zerstört werden kann, wenn sie sie verrät …«
    Ich nickte und fragte bedächtig. »Und wer – wer hat diesen Brief geschrieben?«
    Eine tiefe, dröhnende Stimme erfüllte den Raum. Mein Puls klopfte wie Hammerschläge in meinen Ohren. Sie suchte nach irgendetwas in ihrer Handtasche. Als sie es gefunden hatte, reichte sie es mir über den Schreibtisch.
    Es war eine Gratulationskarte – zu einer Konfirmation. Sie hatte offensichtlich einem Geschenk beigelegen. Die Karte zeigte ein Kirchenfenster, und davor stand ein junges Konfirmandenpaar in strahlendem Glanz. Neben dem Paar stand mit der Hand geschrieben: Für Ingelin zur Konfirmation, von Tante Vigdis und Onkel Niels.
    Es gab keinen Zweifel: Es war dieselbe Handschrift. Etwas fließender vielleicht, zusammenhängender – so wie eine Handschrift mit den Jahren wird. Aber dennoch ohne Zweifel dieselbe.
    Ich sagte: »Und – an wen sind sie geschrieben?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Woher hast du sie?«
    Sie sah zu mir auf, und sie hatte Tränen in den Augen. »Von – von – ich habe sie von Peter bekommen, am Tag als er – starb.«
    »Hat Peter sie dir gegeben?«
    »Ja.« Sie nickte heftig.
    »Aber – aber – hat er gesagt, worum es sich handelte?«
    »Nein, er bat mich nur, darauf aufzupassen, sie aufzuheben – für ihn. Er sagte, dass ich sie nicht lesen sollte, und das tat ich auch – erst hinterher. Als er …«
    Ich nickte. Sie fuhr fort. »Und als – als ich sie gelesen hatte, da dachte ich – da meinte ich –, irgendjemand müsste sie auf jeden Fall zu sehen bekommen. Aber ich wollte nicht, dass – die Polizei … Aber Sie – Sie könnten sie wohl lesen, und sagen – was ich damit tun soll?«
    Ich sah sie ernst an. »Es ist Beweismaterial.«
    Sie starrte zurück.
    »Hat – hat dein Vater die Polizei angerufen? Sind sie bei dir gewesen?«
    Sie nickte.
    »Was hast du ihnen erzählt?«
    »Dasselbe, was ich Ihnen erzählt habe. Die Wahrheit. Aber nicht …« Ihr Blick wanderte wieder zu dem Briefstapel in meinen Händen.
    »Du hast es also schon unterlassen, zu …« Ich hob resigniert die Hände, schwang den Stuhl herum und starrte aus dem Fenster, auf den Fl ø ien und das Sandviksfiell. Auch dort kein Trost zu finden. Ich drehte mich wieder zurück. »Ja, dann … Verstehst du, was das hier bedeuten kann?«
    Sie nickte. »Dass – dass Peter sie benutzt hat, um – um …«
    »Genau. Dass diese Briefe der Grund sein könnten, warum er ermordet wurde.«
    »Ich weiß! Ich habe dasselbe gedacht. Ich dachte, dass sie – die Frau, die die Polizei sucht und noch nicht gefunden hat – dass das – die Frau in den Briefen sein kann …« Sie starrte wieder auf den Stapel in meinen Händen, als würde sie es bedauern, dass er überhaupt dort hingekommen war. »Aber ich sollte es ja nicht wissen. Wenn er sie mir nicht an dem Tag gegeben hätte, an dem Tag – dann –, dann hätte ich ja nichts gewusst! Und ich hätte sie ja verbrennen können. Ich will nicht noch mehr Probleme machen für …« Ihr Blick glitt weiter, auf die Gratulationskarte, die auf meinem Schreibtisch lag.
    Ich nickte verständnisvoll. Aber nichtsdestotrotz … Ich sagte: »Hör zu, Ingelin. Nimm die hier wieder mit nach Hause. Verstecke sie gut. Lass mich ein paar kleine – sagen wir Untersuchungen anstellen. Aber es muss ganz unter uns bleiben – verstehst du? Du darfst es keinem Menschen sagen!«
    Ich wartete auf eine Antwort, und sie nickte ernst. »Ich verspreche es, Veum.«
    »Kein Wort!«, wiederholte ich. »Es kann nämlich sogar – gefährlich sein.« Ich ließ die letzten Worte langsam in ihr Bewusstsein sickern, bevor ich fortfuhr. »Wenn ich herausfinde, dass du sie doch der Polizei übergeben musst – dann, okay. Aber vielleicht zeigt es sich, dass es nicht nötig ist, und dann können wir es lassen, ja?« Ich gab mir Mühe, dass es sich leicht und einfach anhörte, aber das war es nicht. Es wurde mit jeder Minute komplizierter.
    Ich gab ihr den Briefstapel und die Karte zurück, und sie steckte sie wieder in ihre Tasche. Dann verschloss sie die Tasche sorgfältig, stand auf und ging langsam zur Tür. Ich stand hinter dem Schreibtisch auf. »Danke,« sagte sie dünn von der Tür her.
    »Schon

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