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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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kam heraus und schloss sie hinter sich. »Du kannst jetzt reingehen,« sagte er zu seiner Frau. »Aber pass auf, was du sagst.«
    Vigdis Halle sah ihn trotzig an, nickte mir dann kurz zu und marschierte an ihm vorbei zu ihrer Tochter hinein.
    Niels Halle stand mit erhobenem Kopf da, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er mit seinen Vorderzähnen zuschlagen oder mich ganz einfach übersehen sollte. Seine Stimme war gepresst, als er sagte: »Ich möchte mit Ihnen reden, Veum. Wäre es möglich, dass Sie morgen Vormittag um 10.30 Uhr in mein Büro kommen?«
    »Worüber wollen Sie denn mit mir reden?«
    »Wäre das möglich?« Das war eher ein Befehl als eine Frage.
    Ich reagierte auf die unbarmherzige Stärke, die er ausstrahlte, den selbstsicheren Ton seiner Stimme. Ich reagierte, wie die meisten es getan hätten. Ich sagte: »Ja.«
    »Gut. Dann bis morgen.« Mit einem kurzen Nicken entließ er mich. Er warf einen Blick den Korridor entlang, wo die freundliche Krankenschwester zusammen mit einem jungen Arzt zurückkam, der die Brusttaschen voller Kugelschreiber hatte und ausgesprochen wichtig schaute. Halle wartete, bis sie die Tür erreicht hatten, um dann zusammen mit ihnen hineinzugehen. Er sah sich nicht um.

33
    Ich fand Bjørn Hasle in einem der Lesesäle der Philosophischen Fakultät. Ende Juni waren nicht viele der Plätze besetzt. Ich kam leise durch die hintere Tür in den Saal und erkannte seinen Nacken schnell. Er saß über das Pult gebeugt, zwischen zwei schiefen Büchertürmen, hatte ein Notizheft vor sich aufgeschlagen.
    Die Atmosphäre in einem Lesesaal ist unvergleichlich – ungefähr wie in einem Treibhaus. Dort steht eine ebenso drückende, stickige Luft, und es herrscht die gleiche gedämpfte Stille. Die Geräusche von außen gelangen nur schwach durch die dicken Doppelfenster, und es riecht nach Papier, Leder, Staub und feuchten Gummistiefeln.
    Ich näherte mich Bjørn Hasle und berührte vorsichtig seine Schulter. Er sah auf und erkannte mich sofort wieder, ohne besondere Freude.
    Alle fünf, sechs Augenpaare im Raum folgten uns zur Tür, und ich wusste, dass alle Blicke noch ein paar Sekunden an der Tür hängen bleiben würden, bevor sie sie losließen und zu den Büchern zurückkehrten. Ich kannte die unerbittliche Logik der Lesesäle. Ich hatte dort selbst einmal gesessen. Nicht in eben diesem Saal, aber Lesesäle verändern sich nicht, wenn man die Straße überquert. Lesesäle sind überall gleich.
    Draußen auf dem Korridor sagte ich: »Ich wollte dich gern noch ein paar Dinge fragen.«
    Er sagte: »Er ist doch jetzt tot. Was können Sie noch tun?«
    »Ich kann herausfinden, wer es getan hat.«
    »Aber Sie können ihn nicht wieder zum Leben erwecken.«
    »Nein, das kann ich nicht.«
    »Eben.«
    Wir schwiegen. Ein Mann in den Fünfzigern, dem das Hemd aus der verschlissenen Jeans hing, mit krausem Haar, das sich ganz oben dünn kräuselte, ging mit einer zusammengerollten Zeitung unter dem Arm an uns vorbei. Er blinzelte Bjørn Halse freundlich zu.
    »Ich könnte ein wenig frische Luft gebrauchen«, sagte Hasle und ging vor mir die Treppen hinunter. Er trug Jeans, ein blaues Hemd und eine schwarzgraue Strickjacke.
    Wir gingen durch die Glastüren zur Johanneskirche, aber er bog links ab zur alten Schule und dem Parkplatz dahinter. Er ging mir voran zum Gitterzaun auf dem Parkhaus. Von dort aus sahen wir auf den Puddlefjord und nach Laksevåg hinüber. Er sagte: »Was wolltest du fragen?«
    »Das Bild, das in deinem Zimmer an der Wand hängt. Wer hat das gemalt?«
    Er antwortete nicht direkt. »Ich stehe oft hier und sehe zu, wie die Schiffe vorbeigleiten. Wenn es im Lesesaal zu düster wird oder in einer Pause zwischen zwei Vorlesungen tut mir der Blick auf die auslaufenden Schiffe gut. Ein anderes Leben. Dort an Bord zu gehen, nach – wohin solche Schiffe auch immer fahren.«
    »Nach Haugesund,« sagte ich. »Die Zeit, wo sie nach Rio fuhren, ist vorbei. Und in Haugesund findest du nicht viel, was du nicht auch hier finden könntest.«
    »Ich weiß nicht, warum Sie fragen, wenn Sie die Antwort schon kennen.«
    Ich seufzte.
    Er sah mich nicht an. Seine blaugrünen Augen hingen an den Häusern auf der anderen Seite des Puddefjords, am Hang des Damsgårdsfjells.
    Ich sagte: »Mit anderen Worten – Peter Werner hat es gemalt.«
    Er biss die Zähne so fest zusammen, dass es knackte, aber er sagte nichts.
    »Er hat nicht so viele solche Porträts gemalt,« sagte ich.
    »Mag sein,« sagte er

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