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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Dank hatte ich meine Schuhe noch an, aber die Schlüssel – ich durfte die Schlüssel nicht vergessen – die Jacke – das war’s – und dann: raus!
    Ich stolperte die Treppe hinunter und auf die Gasse hinaus. Der kürzeste Weg … Pitterhaugen hinunter, durch die Gassen zur Bispegate und dann …
    Ich rannte los, mein Herz klopfte wild im Hals – nicht nur vor Atemlosigkeit, sondern auch vor Angst.
    Ich hörte die Sirenen der Polizei und des Unfallwagens, noch bevor ich auf den Asylplatz kam. Verzweifelt schrie ich laut: »Nein, verdammte Scheiße – nein!« Ich betete stumm: Las es nicht zu spät sein, lass es nicht zu spät sein …
    Als ich in die Kong Oscarsgate kam, sah ich die Lichter der beiden Einsatzwagen und die Silhouetten von Menschen, die sich sammelten, mitten auf der Straße.

36
    Ich drängelte mich durch die Menschenmenge, gerade rechtzeitig genug, um zu sehen, wie Lisa auf einer Bahre in den wartenden Krankenwagen gehoben wurde. »Hallo, stopp!«, rief ich.
    Ein Stück entfernt, ein wenig schief vor dem Bürgersteig, stand ein großer, blauschwarzer Volvo. Neben dem Wagen standen zwei uniformierte Polizisten und ein elegant gekleideter Mann – groß, dunkelhaarig, offener beiger Trenchcoat über grauem Anzug. Der Mann fuhr sich nervös mit der Hand durch das Haar, das ihm jungenhaft wieder in die Stirn fiel, während er mit der anderen Hand gestikulierte und sich aufgeregt zu dem einen der beiden Polizisten hinüberbeugte. Der andere Polizist wendete den Kopf und sah mich an. Er hatte ein rundes, fahles Gesicht. Es erinnerte an eine vertrocknete Orange.
    Die beiden Sanitäter hatten die Bahre im Krankenwagen abgesetzt. Ich trat an die offene Hintertür und starrte auf sie hinunter. Ihr Gesicht war kreideweiß, ihre Augen geschlossen. Sie blutete aus ein paar hässlichen Schrammen an der Stirn, an der Nase und am Kinn, und an mehreren Stellen zeichnete sich schon ein Muster aus Blau und Rot unter der Haut ab. »Kennen Sie sie?«, fragte der ältere der beiden Sanitäter – was bedeutete, dass er Mitte zwanzig war, denn sie sahen aus wie zwei Pfadfinderjungen.
    Ich nickte. »Ist sie …«
    »Sie ist bewusstlos, und es eilt. Wenn Sie uns also entschuldigen würden. Können Sie nicht mit einem der Polizisten da drüben sprechen …«
    Er schloss die Tür, und der Motor startete fast gleichzeitig. Der Krankenwagen drängte sich vorsichtig durch die ersten Meter neugieriger Menschen. Sobald er konnte, erhöhte er sein Tempo. Das Licht auf dem Dach blinkte, und sie schalteten die Sirenen ein.
    Der Polizist mit dem Orangengesicht war zu mir herübergekommen. »Wer sind Sie?«, fragte er. »Wissen Sie irgendetwas über sie?«
    Ich sagte: »Mein Name ist Veum. Ich – ja, ich kenne sie – sie heißt Lisa Halle, und sie hatte mich gerade angerufen. Sie – es geht hier um einen Mordfall, und Sie müssen so schnell wie möglich die Leute von der Kripo rufen. Am liebsten Vadheim, er führt die …«
    »Mordfall!« Der große, dunkle Mann hatte gehört, was ich gesagt hatte und kam jetzt gestikulierend auf uns zu, mit dem anderen Polizisten im Kielwasser. »Was sagen Sie da? Sie wollen doch wohl nicht behaupten …« Er wandte sich wieder an die beiden Polizisten. »Ich wiederhole, was ich gesagt habe. Ich habe sie überhaupt nicht gesehen, bevor sie mitten auf der Straße war. Ich konnte unmöglich bremsen. Sie ist gelaufen – als sei ihr der Teufel auf den Fersen. Ich komme von einer Feier, es ist spät, aber ich habe nichts getr … Nicht einen Tropfen!«
    »Ach, nein?«, sagte der ältere Polizist kühl.
    Der Mann fuhr sich wieder mit den Fingern durch das dicke, schwarze Haar. Über den Ohren sah man ein paar graue Strähnen. Sein Gesicht war mager, er war relativ gut aussehend. Er trug ein weißes Hemd und einen diskreten Schlips. Seine Lippen waren feucht und rot, und er roch nicht nur nach Zitronenlimonade.
    »Hören Sie«, fuhr er fort, fast zischend. »Ich habe Frau und Kinder zu Hause. Ich – ich habe einen Posten bei – ich befinde mich in einer öffentlichen Position. Es wäre nicht hilfreich, wenn …« Er machte eine Bewegung zu seiner Innentasche hin, als wolle er seine Brieftasche hervorholen, aber dann hielt er inne, als der Polizist mit dem Orangengesicht ihm den Rücken zudrehte und zu seinem Kollegen sagte: »Ruf die Wache an. Bitte die Kripoleute, jemanden herzuschicken. Am liebsten Vadheim, wenn sie ihn erreichen.«
    Ich sagte zu dem großen Mann: »Sie ist gelaufen – als sei

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