Dornroeschenmord
und alles, was mir geblieben ist. Du hast mich immer zu sehr als klassische Schwiegermutter abgestempelt und dabei übersehen, daß mir Edwards Wohl mehr als alles andere am Herzen liegt. Und wenn ich sehe, wie er unter dem Ende eurer Beziehung leidet, dann schmerzt mich das eben.« Gwendolyn hielt inne und holte tief Luft.
»Was willst du von mir? Bittest du mich, zu ihm zurückzukehren?« wollte Mandy wissen und starrte in Gwendolyns helle Augen, in denen sie zum ersten Mal einen offenen und wohlgefälligen Ausdruck zu entdecken glaubte.
Gwendolyn schwieg, als würde ihr die Tragweite ihres Geständnisses erst in diesem Moment bewußt. Den nächsten Satz schien sie nur schwer über die Lippen zu bringen.
»Ich bitte dich nicht, zu ihm zurückzukehren, dazu hätte ich kein Recht. Aber vielleicht könntest du Edward noch einmal die Gelegenheit geben, mit dir über alles zu reden. Glaubst du nicht, daß er eine solche Chance verdient hätte?«
Mandy wurde auf einmal wütend. Und wie immer in solchen Augenblicken fiel es ihr schwer, ihr Temperament zu zügeln.
»Ich soll ihm eine Chance geben? Die hatte er die ganze Zeit – ohne sie zu nutzen. Ich habe mich nicht von ihm getrennt, weil ich ihn nicht mehr liebe, sondern weil er mir keine Perspektiven geben konnte. Und wenn er mich wirklich so sehr vermißt, warum kommt er dann nicht selbst zu mir? Wie immer überläßt er alles seiner Mutter, auch wenn er in diesem Fall vermutlich keine Ahnung davon hat.« Um sich zu beruhigen, nahm Mandy einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas.
Es hatte den Anschein, als begänne Gwendolyns überlegene Fassade zu bröckeln, und sie sah mit einem Mal alt und traurig aus. Mit der Zunge fuhr sie sich über die trockenen Lippen, während ihre Hand sich hilflos um ihren Hals legte. »Könnte ich vielleicht auch ein Glas bekommen?«
Mandy ging in die Teeküche und füllte mit automatischen Bewegungen die hohen Gläser mit Eiswürfeln und Wasser. Die Begegnung mit Gwendolyn erschien ihr zu diesem Zeitpunkt seltsam unpassend. Früher hätte sie es sich gewünscht, einmal ein offenes Gespräch – sozusagen von Frau zu Frau – mit ihr zu führen. Aber sie war immer auf Ablehnung gestoßen. Was wollte Gwendolyn nur von ihr?
Währenddessen saß die Gräfin aufrecht in ihrem Sessel und blickte reglos aus dem Fenster, ihre Hände hielten den Bügel ihrer Handtasche fest umklammert. Eigenartig, dachte Mandy, die sie durch den Türspalt beobachtete. Sie schloß den Kühlschrank und gesellte sich wieder zu ihrem Gast.
Als Mandy zurückkam, holte Gwendolyn den Blick zurück von einem Punkt, der nur für sie sichtbar zu sein schien, und sah Mandy so irritiert an, als wundere sie sich über deren Anwesenheit. Mechanisch griff ihre Hand nach dem Glas, das Mandy ihr mit einem freundlichen Lächeln überreichte. Dabei entglitt es Gwendolyn und zersplitterte auf dem Parkett.
»Laß nur, ich mach schon«, meinte Mandy und bückte sich nach den Scherben. Gwendolyn hingegen starrte auf das rothaarige Geschöpf, das vor ihr auf dem Boden kniete. Sie mußte ihre Mission erfüllen, schließlich tat sie es für Edward. Sie atmete tief, und ihre Hand umschloß kühles Metall.
Ganz gegen ihr sonstiges Naturell war sie jetzt geradezu ekstatisch. Der Puls ging schnell, ihr Atem schwer. Gespannt wie eine Feder saß sie auf dem Stuhl, ihre Haltung erinnerte an eine Raubkatze vor dem Sprung. Schließlich glitt ihre Hand noch ein wenig tiefer in die Tasche, und ein fiebriger Glanz trat in ihre Augen.
Mandy war Gwendolyns Veränderung nicht entgangen, und sie hob fragend den Kopf. Ein Geräusch ließ sie innehalten.
In diesem Moment schnappte die Tür, und wenige Sekunden später betrat Frederick das Zimmer.
»Guten Tag, gnädige Frau«, begrüßte er Gwendolyn mit einem Handkuß. Frederick wußte immer, was sich gehörte. »Hallo, meine Schöne.« Für Mandy – die die Hände noch immer voller Scherben hatte – gab es einen Kuß auf den Mund.
Gwendolyn blickte konsterniert von einem zum anderen und zog schließlich ein goldenes Zigarettenetui hervor. Hastig zündete sie sich eine Eve an und sog gierig daran. Dann erhob sie sich rasch aus ihrem Stuhl. »Da bin ich wohl zu spät gekommen«, sagte sie zu Mandy, die sie bedauernd ansah und fast unmerklich mit den Schultern zuckte.
»Oh, ich wollte Sie nicht stören«, schaltete Frederick sich ein, »aber ich hatte keine Ahnung, daß Malina Besuch von einer Klientin hat. Bitte bleiben Sie doch, ich kann
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