Dornroeschenmord
Dreistigkeit habe ich noch nie leiden können. Wofür ich Sie allerdings wirklich bewundere, ist Ihre beharrliche Resistenz gegen offenkundige Abneigung. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, man wartet auf mich.«
Sie wandte sich abrupt ab, doch Ruttlich griff nach ihrem Arm und hinderte sie am Gehen. Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen, und seine Augen spiegelten die glasklare Härte von Murmeln.
»Sie nennen mich selbstgefällig und sind die Arroganz in Person. Sie urteilen nach der Oberfläche, ohne nach der Ursache zu fragen, und behaupten gleichzeitig, Sie hätten keine Angst. Sie sind eine gottverdammte Lügnerin. Sie wissen genau, was Angst bedeutet, aber Sie wollen sie nicht wahrhaben. Angst macht aus uns Menschen heimtückische, feige Tiere. Wovor fürchten Sie sich? Glauben Sie, daß Elisabeth Angst hatte, als sie dem Tod gegenüberstand?«
Seine feuchte Hand lag noch immer auf ihrem Unterarm, und ganz allmählich wurde sein Griff fester. Der monotone Klang seiner hohen Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Eigentlich wollte sie gehen, aber die ominösen Worte des Mannes übten eine unerklärliche Faszination auf sie aus. Sie riß sich zusammen.
»Warum sagen Sie mir nicht deutlich, was Sie von mir wollen, anstatt sich immer nur in Orakeln zu ergehen?«
»Ich will, daß Sie auf sich acht geben. Wer sagt Ihnen denn, daß Sie nicht die nächste sind? Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, oder halten Sie sich tatsächlich für unverwundbar? Schönheit und Intelligenz halten den Tod nicht fern.« Das Zischen seiner Stimme wurde immer eindringlicher. »Begehen Sie nicht denselben Fehler wie Elisabeth.« In seinem bislang reglosen Gesicht lag plötzlich der Ausdruck tiefer Trauer.
Mandy sah ihn wie versteinert an und überlegte, ob seine Worte ein Geständnis sein sollten. Sie wollte gerade ihren Mund öffnen, um eine passende Antwort zu geben, als sich eine Hand auf Ruttlichs Schulter legte.
»Dachte ich’s mir doch, Heino, daß ich dich in Frau Maltzans Nähe finde.« Es war Cordula Schiller. In ihrem schwarzen Kaftan erinnerte sie mehr denn je an eine alte Fledermaus. Sie warf Mandy einen abschätzenden Blick zu und stieß schrill hervor:
»Ich habe Ihre Rechnung erhalten, meine Teure.« Und dann, völlig übergangslos: »Sie sind mit Frederick Bergerhoff da. Ich habe Sie schon den ganzen Abend beobachtet. Und ich kann nur sagen, Sie sind in jeder Hinsicht eine Abzockerin. Wegen der Rechnung sprechen wir uns noch.«
Mandy sah die Frau entgeistert an. Warum war sie plötzlich so feindselig? Sie war sich keiner Schuld bewußt. »Woher kennen Sie Frederick?«
»Das sollten Sie ihn am besten selber fragen.« Cordula Schiller drehte sich zu Bergerhoff um, der im gleichen Augenblick hinzugekommen war. Obwohl Mandy an seiner Antwort eigentlich brennend interessiert gewesen wäre, beachtete sie ihn nicht, sondern starrte den Mann in seinem Schlepptau an, der ihren Blick mit derselben Verblüffung erwiderte. Bevor einer von beiden etwas sagen konnte, ergriff Bergerhoff das Wort, wobei es Mandy so vorkam, als verberge er hinter seiner Souveränität eine ungewohnte Nervosität:
»Cordula, was für eine Freude, dich zu sehen. Darf ich vorstellen, Cordula Schiller, Heino Ruttlich, Malina Maltzan, und das ist mein Anwalt: Edward von Habeisberg.«
Man reichte sich förmlich die Hand, und seltsamerweise sagte niemand etwas. Frederick, der befürchtete, daß zuviel Stille ihm zum Verhängnis werden könnte, wandte sich gespielt jovial an Edward, der sich bisher vergeblich bemüht hatte, Mandys Blick zu fangen.
»Wenn Sie mal eine tüchtige Detektivin brauchen sollten«, er machte eine Handbewegung zu Mandy, »Frau Maltzan führt eine eigene Privatdetektei.«
»Ich weiß«, sagte Edward trocken, »wir haben unsere Zusammenarbeit vor kurzem beendet.«
»Ach. Sie haben schon zusammengearbeitet? Und jetzt nicht mehr?« Bergerhoff blickte irritiert von einem zum anderen.
»Wir waren sogar per du«, murmelte Mandy in ihr Sektglas.
»Malina fand unsere Verbindung wohl zu unergiebig. Und deshalb hat sie sich nach neuen Auftraggebern umgesehen. Wie ich sehe, gibt der Erfolg ihr recht.« Edward sah ihr geradewegs in die Augen. »Wie lange kennen Sie sich denn schon?« wandte er sich schließlich an Bergerhoff.
»Lange genug, um zu wissen, was wir aneinander haben.« Bei Fredericks Bemerkung schob Cordula Schiller ruckartig ihren Kopf aus dem Ausschnitt des Kaftans und warf Mandy einen
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