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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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fühlte sie sich zu Hause, geborgen wie in einer warmen schützenden Höhle. Diese Vorstellung hatte sie schon als Kind in den Schlaf gewiegt, wenn der Dämon nachts mit seinen dumpfen Schatten gedroht hatte.
    Ihre Erinnerungen abschüttelnd, griff die Gestalt nach der abgenutzten Gartenschere und durchtrennte den Stiel einer Rose, deren Blüte in ihrer samtigen violetten Röte von fast schamloser Schönheit war. Rose um Rose fiel in einen Korb, und bei jeder gefallenen Blüte ließ der Gedanke an das, was bald folgen würde, ihr Blut ekstatisch pulsieren. Nur noch ein paar Rosen mehr, und es würden genug sein, um die letzte Tote damit zu kränzen. Eine einzige Blume noch …
    Zärtlich berührte die Schere das dunkle Grün des holzigen Stengels. Plötzlich wurde die Zerstörung offenbar: Um die halbgeöffnete rote Knospe wand sich ein klebriges Gespinst aus glitzernden transparenten Fäden wie ein todbringender Kokon. Der Ekel, den sie empfand, war unbeschreiblich, die Wut über das eigene Verschulden überwältigend. Sie hatte zu lange gewartet und die Blumen vernachlässigt, und nun war das, was sie über Jahre aufgezogen und gepflegt hatte, vom Ungeziefer hämisch hingerichtet. Fast alle Rosen waren Opfer einer unersättlichen Gier der Natur geworden.
    Niemand sonst hörte den verzweifelten Schrei. Doch es war, als würde sein Echo zwischen den Wänden des Gewächshauses niemals mehr verhallen wollen.
     
    Vor ihm lag ein Stapel Akten. Wie an jedem Morgen hatte Frau Altmann sie auf Edwards Schreibtisch ausgebreitet. Überhaupt war alles wie an jedem Morgen: Es roch nach frischem Kaffee, und von draußen ertönte das vertraute Klappern einer elektrischen Schreibmaschine. Seine Sekretärin war eine energische Frau in den mittleren Jahren, der die Tradition über alles ging. Sie hatte eine tief verwurzelte Abneigung gegen Veränderungen und weigerte sich deshalb, mit einem modernen Computer zu arbeiten.
    »Ich habe schon immer auf der Maschine geschrieben, warum soll das plötzlich anders werden?« hatte sie kategorisch erklärt, und Edward hatte es inzwischen aufgegeben, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Er schmunzelte kurz bei dem Gedanken an die endlosen Diskussionen, die er mit Frau Altmann über das Für und Wider moderner Technologien geführt hatte.
    Nach den Ereignissen der letzten Tage fiel es ihm schwer, sich auf den üblichen Kanzlei-Alltag zu konzentrieren. Statt mit den Mandanten beschäftigten sich all seine Sinne mit Mandy. Edward ahnte, daß die vergangenen beiden Tage nicht nur von kurzfristiger Bedeutung sein würden. Er zappelte – wenn auch nicht gerade unfreiwillig – an Mandys Haken.
    Doch wie enthusiastisch seine Gefühlsregungen auch gewesen waren, die tiefe Furcht vor einer festen Bindung war nur zum Teil gewichen. Und genau das war es, was Mandy jetzt wohl von ihm erwartete: das Lippenbekenntnis für die Ewigkeit. Wenn er sie nicht wieder verlieren wollte, mußte er handeln.
    Er seufzte. Warum machten Frauen die Dinge nur so kompliziert, indem sie alles auf einmal haben wollten? Das wollte er zwar auch, aber war es denn unbedingt nötig, diese Absicht staatlich besiegeln zu lassen? Sich so fest auf jemanden einzulassen bedeutete ständige Nähe, fast schon ein Ausgeliefertsein, und Edward zweifelte immer noch daran, ob er dem wirklich gewachsen war.
    Er wand sich in seinem Sessel, als könne ihm eine bequemere Haltung die Zweifel nehmen, doch gleichzeitig wußte er sehr genau, daß ihm dabei nichts und niemand helfen konnte. Die Entscheidung lag allein bei ihm. Dabei liebte er Mandy, davon war er überzeugt. Jedesmal, wenn er geglaubt hatte, sie zu kennen, offenbarte sie ihm eine neue Seite ihres Charakters. Sie konnte sanft und liebevoll sein, besaß aber auch jenes ungezügelte Temperament, das ihn manchmal ebenso wahnsinnig machte wie ihre außerordentliche Scharfzüngigkeit.
    Eine wilde Zärtlichkeit für sie stieg in ihm auf, die Sehnsucht wurde fast unerträglich. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte den ganzen unwichtigen Bürokram hinter sich gelassen und Mandy endlich in die Arme genommen. Es wurde Zeit, sich der Angst zu stellen. Und in diesem Moment wußte er, was zu tun war.
     
    Mandy hatte den Tag einfach vertrödelt. Bewußt und mit dem größten Vergnügen. Nachdem Edward gegangen war, hatte sie ein ausgiebiges Schaumbad genommen und vor sich hingeträumt. Nichts lag ihr momentan ferner, als sich in das strenge Korsett des Alltags zu zwängen. Sie wollte nichts

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