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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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der Küche verweilen?«
    Dorothee machte einen artigen Knicks. »Nein, Madame, selbstverständlich folge ich Ihnen in die Bibliothek.«
    »Na bitte, Eure Ladyschaft, das wäre dann ja wohl geklärt.« Mandy packte das Tablett und ging voran.
    Obwohl Mandy die Frotzeleien ihrer Freundin manchmal auf die Nerven fielen, mußte sie ihr insgeheim recht geben. Ab und zu fühlte sie sich selbst ein wenig wie die Hauptfigur aus einer Operette. Als sie die Tür zur Bibliothek öffnete, hätte es sie nicht gewundert, wenn ihr Professor Higgins im rohseidenen Schlafrock, die Hände auf dem Rücken verschränkt, entgegengekommen wäre und ihr ein schlechtgelauntes »Wo zum Teufel sind meine Pantoffeln, Eliza« an den Kopf geworfen hätte.
    Das Zimmer war so perfekt, daß es tatsächlich als Kulisse für einen großen Hollywoodfilm hätte dienen können. Unzählige Bücher standen in den deckenhohen Regalen aus poliertem Mahagoni, und indirektes Licht aus versteckt angebrachten Strahlern beleuchtete die leinen- und ledergebundenen Rücken. Alles war nach Themenbereichen sortiert: Klassiker neben Biographien, Zeitgenössisches neben antiquarischen Erstausgaben, und eine Wand war allein juristischer Fachliteratur gewidmet.
    »Mann«, hauchte Dorothee ehrfürchtig und ließ sich auf das abgewetzte dunkelrote Ledersofa sinken. »Wessen Werk ist das denn? Das müssen ja einige tausend Bücher sein.«
    »Edwards Vater hat die Sammlung schon von seinem Vater übernommen und sie natürlich noch erweitert. Ich bin auch jedesmal ganz beeindruckt. Vor allem weiß man gar nicht, wo man anfangen soll«, sagte Mandy und griff in eines der Regale. »Sieh mal hier, eine handsignierte Ausgabe von Hemingway.«
    »Das glaub ich nicht, zeig mal her«, Dorothee riß ihr das Buch fast aus der Hand.
    »Vorsicht, Mensch! Das ist doch unbezahlbar.« Beinahe sah es so aus, als wollte Mandy Dorothee einen Klaps auf die Finger geben, doch da hielt sie schon den nächsten Band in Händen. »Hier gleich daneben – das gibt es doch nicht – Somerset Maughams ›Of Human’s Bondage‹, ebenfalls mit Signatur und Widmung.«
    »Und hier, ›Anna Karenina‹ von Tolstoi!« Dorothee konnte ihre Begeisterung kaum noch bremsen, als sie eine Originalausgabe des Buches in der Hand hielt.
    Immer mehr ließen sich die beiden Frauen in den Bann der kostbaren alten Bücher ziehen. Mandy hatte sich gerade mit einer ledergebundenen Ausgabe von Eduard Keyserlings »Wellen« in eine Ecke verkrochen, als ein seltsamer Laut sie in die Wirklichkeit zurückholte. Ein wenig verärgert über die Störung hob sie den Kopf und blickte zu ihrer Freundin hinüber, die sich mit fassungslosem Gesicht über ihre Lektüre beugte.
    »Du ahnst nicht, was ich hier gefunden habe.« Dorothees große braune Augen blickten, als hätte sie das Geheimnis von Loch Ness gelüftet.
    »Jetzt mach es doch nicht so spannend. Was ist es denn?« Mandy war ungeduldig, sie wollte gerne weiterlesen.
    »Komm her und sieh es dir selbst an. Du wirst deinen Augen nicht trauen.«
    Etwas ungehalten stand Mandy auf und ging hinüber zu Dorothee, die ihr ein dickes, in königsblaues Leinen gebundenes Buch überreichte. Es mußte aus der Zeit der Jahrhundertwende stammen, denn sowohl die Schrift als auch die Ornamente darauf waren eindeutig Jugendstil. Der Titel klang in Mandys Ohren allerdings banal: »Gesund durch die Kräfte der Natur.«
    »Stimmt, das ist wirklich ein schön aufbereitetes Buch, aber ich sehe nicht, was daran so sensationell sein soll.« Sie wollte Dorothee das Exemplar zurückgeben, als diese sie am Handgelenk packte.
    »Schlag es auf«, drängte sie. »Los.«
    Mandy zögerte einen Augenblick und seufzte. Sie hob den Buchdeckel an und hielt verwundert inne.
    Was sie in der Hand hielt, sah aus wie ein ganz normales Buch, war aber keines. Der prächtige Deckel und der Rücken bildeten einen Hohlraum, in dem ein Stapel alter, vergilbter Schulhefte lag. Sie waren alle an den Seiten mit einer Schleife verschlossen und fein säuberlich mit demselben Namen beschriftet: Gwendolyn Sarah Cunningham. Darunter jeweils die Angabe von Tag, Monat und Jahr.
    Es waren die Tagebücher von Edwards Mutter. Mandy starrte sprachlos darauf. Warum hatte Gwendolyn die Aufzeichnungen so sorgfältig versteckt? Die Tagebücher begannen im letzten Kriegsjahr 1945 und endeten 2001. Die Aufzeichnungen waren allerdings nicht kontinuierlich, dazwischen gab es etliche Lücken.
    Währenddessen widmete sich Dorothee wieder der

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