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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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dem Bürgersteig. Mrs Wentz hat sie gar nicht gesehen, und ich habe ihr nicht gesagt, dass Iris draußen auf der Straße war.«
    Â»Du denkst, dass du Iris im Stich gelassen hast«, stellte Morasco fest.
    Â»Ich weiß, dass ich sie im Stich gelassen habe. Ich meine … ich kann mich noch ganz genau daran erinnern. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie ich in das Haus von Mrs Wentz gegangen bin. In der Tür habe ich mich noch einmal umgedreht und gesehen, wie Iris weggelaufen ist.«
    Brenna sah das junge Mädchen mit dem feinen Babyhaar und den runden Apfelbäckchen an. Sie war fast so jung wie Maya, gerade mal drei Jahre älter als sie selbst, als Clea in den blauen Wagen gestiegen war.
    Â»Das werde ich nie vergessen.«
    Brennas Stichwunde fing an zu brennen, als sich ihre Brust zusammenzog.
    Â»Ihre Eltern sind draußen im Wartezimmer«, sagte Morasco und blickte das Mädchen an. »Möchtest du gehen, Maggie?«
    Â»Ja«, flüsterte sie, und unweigerlich ging Brenna der Gedanke durch den Kopf, dass die arme Maggie Schuler Jahre ihres Lebens statt nach vorn nach hinten blicken und vielleicht auf eine gute Ausbildung, ihr Glück und sogar die Menschen, die ihr am meisten bedeuteten, verzichten würde, nur weil sie versuchte, einen Fehler wiedergutzumachen, einen Schaden zu beheben, der nicht zu beheben war.
    Â»Es ist nicht deine Schuld«, sagte sie genauso zu sich selbst wie zu dem fremden Mädchen neben ihrem Bett. »Es ist nicht deine Schuld. Du warst damals noch ein kleines Kind.«

30
    Dr. Glassman war ein hervorragender Arzt. Meade hatte ihn während seiner Zeit im Krankenhaus kennengelernt. Damals war er gut gewesen – talentiert und fürsorglich. Doch die alltäglichen Dinge hatten ihn zu sehr abgelenkt, um wirklich großartig zu sein. Baseball und Softballspiele seines Sohns, Geburtstage, die Tennisstunden seiner Tochter. Oft hatte er früher mit der Arbeit aufgehört, nur um sich etwas so Banales wie eine Schulaufführung anzusehen – eine Schulaufführung, während er gleichzeitig hätte Leben retten können. Das ergab nicht den geringsten Sinn, aber das tat das menschliche Verhalten sowieso nicht oft. Meade nahm Dr. Glassman diese Menschlichkeit nicht übel. Aber trotzdem sah er sie als Schwäche an – als kleinen Makel, der ihn jahrelang daran gehindert hatte, der phänomenale Arzt zu werden, als der er vom Schicksal auserkoren war.
    Dann hatte eines Tages, während Dr. Glassman im OP gewesen war, ein Feuer in seinem Haus seine gesamte Familie umgebracht, und aus einer langen Trauerphase war er vollkommen verändert wieder aufgetaucht.
    Er war jetzt ein Mann ohne Gefühle, ein Mann, der nur noch dafür lebte, Körper wiederherzustellen, Menschen zusammenzuflicken, denen Übles widerfahren war. Dr. Glassman stellte niemals irgendwelche Fragen, und tatsächlich sprach er überhaupt kaum je ein Wort. In seiner kleinen Wohnung in Morningside Heights zupfte er Kugeln aus Brüsten, nähte Stichwunden zusammen, stabilisierte gelegentlich den unruhigen Herzschlag eines Sterbenden. Seine Arbeit schien ihm keinen Spaß zu machen, und er schien auch keinen allzu großen Sinn darin zu sehen. Im Grunde heilte er nur deshalb, weil er keine andere Fähigkeit besaß. Er war weniger ein Mensch als eine Maschine. Deshalb traute Meade dem Mann.
    Jetzt versorgte er zuerst die Schusswunde. Die Kugel steckte in Meades Schulter, und es brannte, als der Arzt sie ohne Betäubung entfernte, aber er blieb völlig stoisch, denn er wusste, auch sein Vater hätte in einem Moment wie diesem schweigend ausgeharrt. »Soldaten weinen nicht«, hatte Dad dem zehnjährigen Adam eingebläut, einem völlig anderen Adam als dem Mann, der er inzwischen war. Das hatte Dad zu ihm gesagt, als er in der Morgendämmerung das Haus verlassen hatte, als er auf dem Weg zu seinem sechsten und letzten Kriegseinsatz zum allerletzten Mal durch jene Tür gegangen war. »Keine Sorge, Sohn. Hanoi kann mir nichts anhaben. He, was sehe ich da in deinem Auge? Ist das etwa eine Träne? Soldaten weinen nicht, Adam. Du musst stark sein, denn du musst dich um die Frauen kümmern, bis ich wieder zu Hause bin.«
    Â»Zu Befehl, Sir.«
    Â»So ist’s recht.«
    Während Dr. Glassman die Schnittwunden in seiner Wange und über den Augen nähte, seine Schulter bandagierte und die kleineren

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