Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
Vom Netzwerk:
auf einen Gegenstand. Sie hatte die Gewohnheit, unbelebten Gegenständen eine tiefere Bedeutung zuzuschreiben, obwohl eine Zigarre eben manchmal nur eine Zigarre war – was auch für Schaukeln und Kinderräder galt. Dinge wurden draußen stehen oder liegen gelassen, weil man sie vergessen hatte – weil sie ohne jegliche Bedeutung waren.
    Während eine Fontäne des Rasensprengers die Rückseite von Brennas Beinen traf, trat sie näher an das Fenster und spähte vorsichtig hindurch. Der dahinter befindliche Raum lag in vollkommener Dunkelheit, aber als sie ihr Gesicht gegen die Scheibe drückte, konnte sie einen hölzernen Küchentisch, an jedem Ende einen hochlehnigen Stuhl, einen schlanken Kleiderständer sowie einen Stapel Teller neben der Spüle sehen. Das Haus war wirklich vollständig möbliert.
    Sie trat wieder einen Schritt zurück. Rechts neben der Tür war die Alarmanlage, deren rotes Licht über dem Bedienfeld blinkte. Brenna holte ihre Stiftlampe aus der Tasche und beleuchtete das Zahlenfeld. Es war durchaus denkbar, dass der Code für die Alarmanlage so wie alles andere unverändert war. Und wenn das der Fall war … nun, die meisten Menschen wählten für den Code wichtige Daten aus, deshalb lohnte sich zumindest ein Versuch.
    Sie würde zu dem Tag zurückkehren, an dem sie Lydia Neff begegnet war.
    Brenna kniff die Augen zu, atmete tief durch, blendete das Zirpen der Grillen und das Flüstern des Windes in den Bäumen aus und konzentrierte sich ganz auf das Rauschen des Wassers aus dem Rasensprenger, weil auch bei ihrem Gespräch mit Lydia das Plätschern von Wasser zu hören gewesen war …
    Zuerst fiel ihr das Datum ein.
    23. Oktober 1998.
    Kurz danach konnte sie spüren, wie es merklich kühler wurde, weil die zweiwöchige Hitzewelle einen Tag zuvor vorbei gewesen war. Statt ihres Baumwollrocks spürte sie plötzlich ihre alten engen schwarzen Jeans und Jims Kapuzenshirt von Knicks, das sie an dem Morgen angezogen hatte, weil es sie tröstete und weil man wegen der Kapuze die Schürfwunden an ihrem Hals nicht sah.
    Sie schmeckte den bitteren Kaffeerest, den sie heruntergekippt hatte, bevor sie aus dem Haus gegangen war, und hakte in Gedanken die Ereignisse des Morgens ab: wie sie Jim zum Abschied geküsst hatte, als er zur Arbeit aufgebrochen war, wie sie Maya in der Krippe abgesetzt hatte und mit der U-Bahn zu dem neuen Autoverleih, einem Budget an der Ecke Lexington und 43., gefahren war, dort einen dunkelblauen Chrysler LeBaron von einer Angestellten Namens Cindy mit einer auffallend glänzenden Nase entgegengenommen hatte und von ihr gewarnt worden war, dass der vorherige Mieter darin geraucht hätte. Vor und nach dem Wort geraucht hatte Cindy so nervös gelacht, als hätte dieser Mensch auch noch ganz andere Dinge in dem Mietwagen getan.
    Dann saß sie hinter dem Lenkrad und fuhr die 14. Straße hinauf in Richtung West Side Highway, über die Major-Deegan-Brücke und den Cross County Expressway, während sie die ganze Zeit versuchte, den Gestank nach kaltem Rauch zu ignorieren, der ihr in die Kleider zog, ihr Kopfschmerzen verursachte und vor allem die Verletzungen vom Vorabend – die Schmerzen in ihrem Gesicht und Bauch, die Schnittwunden an ihren Knöcheln, die Schürfwunden an ihrem Kiefer und den Schultern – irgendwie erst richtig erblühen ließ …
    Die Frische der Schmerzen macht sie irgendwie nervös – als wäre es ihr gelungen, ihre Wunden wegzuzaubern, aber nur für eine Nacht, und als lasse jetzt die Wirkung dieses Zaubers nach. Brenna betrachtet ihr Gesicht im Rückspiegel. Der Kiefer ist ein bisschen geschwollen, aber der blaue Fleck ist immer noch unter der dicken Make-up-Schicht versteckt, die sie aufgetragen hatte, ehe sie zu Bett gegangen war.
    Gott sei Dank.
    Jim hat die Verletzungen morgens nach dem Aufstehen nicht bemerkt, aber früher oder später fallen sie ihm sicher auf. Schließlich ist er Journalist – jemand, dem kaum je etwas verborgen bleibt. Deshalb wird es sicherlich nicht allzu lange dauern, bis er merkt, dass Brenna letzte Nacht von einem untreuen Ehemann, den sie fotografiert hat, zehn Häuserblocks gejagt und dann in einer dunklen Gasse gegen eine Backsteinmauer geschleudert und verdroschen wurde. Wie lange wird es dauern, bis er ihre aufgerissenen Knöchel sieht und darauf kommt, dass sie sich, statt

Weitere Kostenlose Bücher