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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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hatte für ihn gekocht, das ja, aber nur, weil es ihr Spaß machte. Er war ihr gegenüber niemals laut geworden, hatte sie niemals beschimpft, geschlagen oder gar bedroht … war immer nur nett zu ihr gewesen. Völlig anders als sein Vater, und wenn Carol Nelsons Vater jemals hätte sehen können, voll Glenfiddich mit einer roten Nase, Fäusten wie zwei Schinken und einer Stimme, die dröhnte wie bei einer Bombenexplosion.
    Nelson blickte auf die Uhr über dem Kamin. Es war bereits Mitternacht. Wahrscheinlich war er schon seit zwanzig Jahren nicht mehr so lange auf gewesen. Aber wenigstens war jetzt ein neuer Tag. Er kehrte in den Handarbeitsraum zurück und trat vor die schwarze Truhe, die noch immer in der offenen Tür auf dem Boden stand. Wenn jemand irgendwas verstecken will, wählt er dafür einen Ort, der nur ihm allein gehört. Aber gehörte nicht alles an Carol ihr, nur ihr allein? War nicht auch ihr Hirn wie diese schwarze Truhe – unter dicken Schichten gut versteckt, mit einem Deckel, der so gut wie immer sorgfältig geschlossen war?
    Nelson klappte den Truhendeckel noch mal auf.
    Er sah Fetzen bunten Stoffs, Fadenrollen, ein paar Scheren, Quilting-Zubehör, und mit dem Gedanken Das wird dir eine Lehre sein. Das wird dir eine Lehre sein, Carol. Jetzt dringe ich hier bei dir ein. In deinen Privatbereich. Und du kannst nichts dagegen tun … holte er alles heraus und legte es auf den Boden. Doch noch während er damit beschäftigt war, klingelte das Telefon. Wessen Telefon klingelte, bitte schön, um kurz nach Mitternacht? Sein eigenes Telefon.
    Nelson dachte, Carol, und lief eilig los. Das nächste Telefon stand in der Küche auf der Anrichte. Er folgte dem Geräusch, und bis er endlich dort war, war er völlig außer Atem und hatte das Gefühl, als sprenge sein Herzschlag ihm die Brust. Aber das war ihm egal, ihm war alles vollkommen egal, außer dass er endlich an den Hörer kam …
    UNBEKANNTER ANRUFER . Nelson riss das Telefon aus seiner Ablage, presste es an sein Ohr und stieß krächzend »Carol?« aus.
    Es gab keine Antwort, nur ein leises Rauschen, und er dachte: Handy. Außer Reichweite. Doch er sprach einfach weiter, so, als brächte seine Stimme sie vielleicht in Reichweite zurück, und dann könnte er sie einfach durch den Hörer ziehen. »Carol? Bist du’s? Wo steckst du?«
    Das Rauschen nahm ein wenig ab, und er konnte hören, wie sie atmete. Er sagte noch mal Carols Namen, aber als sie endlich etwas sagte, war es ganz eindeutig nicht die Stimme seiner Frau. »Es ist meine Schuld«, flüsterte die Stimme, und dann wurde plötzlich wieder aufgelegt.
    Nelson blieb wie angewurzelt stehen, bis der Bann gebrochen war und die Tränen kamen. »Es ist meine Schuld«, hatte ein weiblicher Teenager zu ihm gesagt.

8
    Clea stand über Brennas Bett gebeugt – der Schatten eines siebzehnjährigen Körpers mit einem Heiligenschein aus gelbem Haar. Sie sagte nichts, doch Brenna wusste, dass sie gehen würde. Wieder mal.
    Brenna träumte, und das war ihr auch bewusst. In ihren Erinnerungen – diesen fehlbaren Erinnerungen vor Eintreten des Syndroms – waren Cleas Alter, ihre Emotionen und Aktionen immer unterschiedlich, doch in Brennas Träumen war sie immer siebzehn und ging. »Sag Mom nichts davon«, bat Clea sie. »Ich werde in ein paar Tagen anrufen. Versprochen.«
    Â»Nein, das wirst du nicht«, antwortete Brenna. »Du wirst zu einem Mann, den ich nicht sehen kann, in den Wagen steigen. Du wirst dich aus dem Beifahrerfenster beugen und ihm sagen, du wärst bereit. Er wird sagen, dass du hübsch bist, und dich bei einem komischen Namen nennen. Du wirst einsteigen, der Mann wird losfahren, und ich werde deine Stimme niemals wieder hören.«
    Clea trat noch näher an das Bett, kniete sich daneben und schob ihr Gesicht so dicht an sie heran, dass Brenna nichts anderes mehr sah.
    Â»O mein Gott.«
    Cleas gesamtes Gesicht war bandagiert – ihre Augen und ihr Mund waren vollkommen versteckt, und ihre Nase und die Wangenknochen sahen wie mit Baumwolle bedeckte Hügel aus. Kriegt sie so denn überhaupt noch Luft? Brenna streckte einen Arm aus, um ihr die Verbände abzunehmen, aber Clea schlug ihr auf die Hand. »Bitte, Clea«, sagte sie. »Bitte lass mich dir helfen.«
    Sie hörte die Stimme ihrer Schwester, die zitternd durch

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