Dornröschenschlaf
stieà einen Seufzer aus. »Hören Sie, Nelson. Ich werde Ihnen jede Menge Fragen stellen, von denen Sie einige wahrscheinlich nicht beantworten werden wollen, weil bereits das Nachdenken über die Antworten â die ehrlichen Antworten â schmerzlich für Sie ist. Oder vielleicht haben Sie auch bestimmte Dinge einfach verdrängt ⦠aber Sie müssen all diese Gefühle auÃer Acht lassen und mir ehrlich Rede und Antwort stehen. Selbst wenn das bedeutet, sich an Dinge zu erinnern, von denen es Ihnen lieber wäre, sie blieben für alle Zeit begraben.« Sie zog ihren Stuhl noch etwas näher an den Sessel und wollte mit ruhiger Stimme von ihm wissen: »Nelson, verstehen Sie das?«
Er schaute sie lange reglos an, bevor schlieÃlich die Röte aus seinem Gesicht verschwand und er wieder normal aussah. »Ich verspreche, Ihnen alles zu sagen«, erklärte er ihr feierlich.
»Na super.« Brenna schenkte ihm ein Lächeln. »Nun, da der unangenehme Teil erledigt ist: Wie wäre es, wenn Sie mir Carols Kreditkartennummern geben, damit wir gucken können, wann und wo sie sie zum letzten Mal verwendet hat? Dafür reicht irgendeine alte Rechnung völlig aus.«
»Ich kann es Ihnen sogar noch leichtermachen und Ihnen ihre Karte holen«, gab Nelson zurück.
»Sie haben Carols Kreditkarte?«
Er stand auf. »Sie hat nur eine Kreditkarte, und auch die ist nur für Notfälle gedacht. Wir benutzen immer meine Karten, wenn irgendwelche gröÃeren Ausgaben fällig sind.«
»Ihre Karten.«
»Ja. Ich habe eine Karte von meiner Bank und ein paar andere.«
»Eine von Ihrer Bank? Dann haben Sie also getrennte Konten?«
Nelson sah sie an, als hätte sie ihm gerade einen Kinnhaken verpasst. »Ja. Haben wir.«
»Aber warum denn das?«
»Tut mir leid ⦠ich muss mich erst daran gewöhnen, dass mir jemand derart ⦠bohrende Fragen stellt.«
Brenna hatte nicht gedacht, dass diese Frage allzu bohrend war. Wie würde er dann wohl erst reagieren, wenn sie anfinge, ihn nach seinem und Carols Sexualleben zu fragen? Aber da sie praktisch spüren konnte, wie erregt er war, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück, nickte und erklärte in der Hoffnung, dass der Kerl dadurch zumindest annähernd wieder ins Gleichgewicht geriet: »Ich weiÃ, es ist nicht leicht.«
»So war es einfacher für uns.«
»Sicher«, stimmte sie ihm zu, hakte dann aber noch einmal nach: »Und Sie sind sich sicher, dass sie ihre Karte hiergelassen hat?«
»Sie nimmt sie nie mit aus dem Haus. Weil sie nämlich sehr genügsam ist.«
Brenna folgte Nelson in die Küche, wo er eine Schublade unter dem Herd aufzog, und machte keuchend einen Schritt zurück. Während für die Beschreibung aller anderen Räume keine Adjektive auÃer vielleicht sauber und bescheiden nötig waren, erschien ihr die Wentzâsche Küche wie ein wahr gewordener Traum â Armaturen aus rostfreiem Stahl, blankpolierte Kirschholzschränke, schimmernde Kupfertöpfe in einem Regal über einer mit einem hochmodernen Gasherd bestückten, riesigen Kochinsel, ein Messerblock, der jedem Sternekoch die Tränen der Freude in die Augen treiben würde, ein Korb mit frischem Obst und vor allem ein Kühlschrank von der GröÃe, dass sich darin mühelos der Lebensmittelvorrat eines mittelgroÃen Kibbuz unterbringen lieà⦠Brenna gefiel dieser Raum, der fröhlich, groÃzügig und ausnehmend luxuriös gestaltet war. Er hob sich wie ein reichgeschmückter Weihnachtsbaum vom ansonsten prosaischen Heim der Wentz ab und gab Brenna das Gefühl, dass es doch noch Hoffnung für die Ehe dieser beiden Menschen gab. »Und, wer kocht bei Ihnen?«, wollte sie wissen.
Nelson antwortete ihr nicht.
»Nelson?« Sie riss ihren Blick vom Kühlschrank los und bemerkte den entsetzten Blick, mit dem er in die offene Schublade sah, als würde ihm darin eine Tragödie offenbart.
Brenna trat neben ihn und sah, dass er die Schublade so fest umklammert hielt, dass seine Fingerspitzen leuchteten. »Was ist los?«
Er machte einen Schritt zurück. »Carols Kreditkarte«, stieà er mit rauer Stimme aus, »sie ist nicht mehr da.«
Nelson saà auf einem kleinen Stuhl neben der Treppe, starrte auf die Schublade des Nähtischs, in dem er und Carol sämtliche Rechnungen
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