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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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Sie verpasste oft Termine, wenn sie sie nicht schriftlich hatte – vor allem (und ironischerweise), wenn sie zur verabredeten Zeit gerade in einer besonders detaillierten Erinnerung gefangen.
    Oder wenn sie gerade ohne ersichtlichen Grund gefeuert worden war.
    Denk jetzt besser nicht darüber nach. Was natürlich alles andere als einfach war, solange sie Nelsons hohle Stimme mindestens so deutlich wie zuvor die von Sophia DelVechio während ihres Referats über Marcus Garvey in den Ohren hatte, ohne dass sie die Bedeutung ihres letzten Telefongesprächs auch nur annähernd verstand. Was ist nur mit ihm los?, überlegte sie, obwohl sie wusste, dass die Frage in Bezug auf jemanden wie Nelson – oder eher Mr Wentz – vollkommen sinnlos war. Deshalb konzentrierte sie sich besser erst einmal auf den Verkehr.
    Die Klinik, in der Dr. Sarah Stoller arbeitete und lebte, war eine der eleganteren psychiatrischen Einrichtungen des Staates New York. Sie lag in einer Landschaft ähnlich der alten Wohnanlage Waterside, bevor sie von den einziehenden Reichen einer radikalen Schönheitsoperation unterzogen worden war. Natürlich hatte Brenna von der Klinik schon gehört, sie aber bisher noch nie besucht, und als sie die sanft gewellten grünen Picknick- und die Tennisplätze sah, atmete sie erleichtert auf. Eine Irrenanstalt hatte sie sich völlig anders vorgestellt. Die Backsteingebäude auf dem Campus (das Gelände hieß tatsächlich so, denn neben einer Klinik gab es hier auch eine Lehranstalt) waren im Tudorstil gebaut, und nur die diskreten Gitter vor den Fenstern wiesen darauf hin, dass man sich nicht auf dem Grundstück einer Eliteuniversität befand.
    Dr. Stollers zweistöckiges Haus schmiegte sich in eine Senke, die am hinteren Ende des 18-Loch-Golfplatzes lag. Es hatte jede Menge Fenster, sonnengebleichte Holzdielen, und an die hundert Pflanzen hingen von der hohen Decke, wuchsen aus fröhlich bemalten Urnen, rankten sich an Miniaturgittern empor und füllten praktisch den gesamten, passenderweise als Sonnenveranda bezeichneten Raum, in dem die Ärztin sie empfing. In dem Raum roch es nach frischer Erde, feuchten Blättern und pastellfarbenen Lilien. Das Sofa und der Sessel, auf denen die beiden Frauen saßen, waren mit leuchtend grünem Stoff bespannt, so weich wie Frühlingsgras, und kamen Brenna deshalb wie ein Teil der Flora vor. »So viele wunderschöne Pflanzen«, hatte sie bei Betreten der Veranda ehrfürchtig gesagt und erst einmal tief Luft geholt.
    Â»Ich mag Dinge mit Wurzeln«, hatte Sarah Stoller schulterzuckend geantwortet.
    Genau wie die Klinik war auch Dr. Stoller völlig anders als erwartet. Weder hatte sie den durchdringenden Blick, der für Seelenklempner typisch war, noch maß sie jedem ihrer Sätze eine übertriebene Bedeutung bei. Ganz im Gegenteil war Dr. Stoller eine kleine und zurückhaltende Frau mit einer ergrauenden Pagenfrisur, einem scheuen Lächeln und einem etwas trüben Blick, der einen an eine erloschene Glühbirne denken ließ. Brenna hatte keine Ahnung, ob ihr Blick schon immer Teil ihrer Persönlichkeit gewesen war oder eher Ausdruck einer Trauer, wie sie ihr schon häufig in Familien Verschwundener begegnet war – einer Art von Trauer, die den Teil der Menschen stählt, der hinter ihren Augen lebt.
    Brenna sah sich Aufnahmen von Dr. Stollers Mutter an – einer hübschen, fünfundsiebzigjährigen, schwer an Alzheimer leidenden Frau. Elizabeth war vier Monate zuvor in einer Samstagnacht aus ihrem Pflegeheim in Princeton, New Jersey, verschwunden, und obwohl die Schwester gleich am nächsten Vormittag die Polizei verständigt hatte, hatte seither niemand mehr etwas von ihr gehört oder gesehen.
    Glauben Sie, dass Sie sie finden können?, hatte Dr. Stoller Brenna zwei Wochen zuvor am Telefon gefragt.
    Brenna hatte ihr wahrheitsgemäß erklärt, dass Erwachsene mit Demenz ebenso schwer wie kleine Kinder aufzuspüren waren, weil ihre Handlungen genau wie die von Kindern selten logisch waren. Sie benutzten keine Kreditkarten, gingen nicht in Hotels, traten keinen Vereinen bei und telefonierten häufig nicht einmal. Tatsächlich war das Beste, was man sich erhoffen konnte, dass es irgendwo zu einer Verhaftung des vermissten Menschen kam. Was schlimmstenfalls passieren könnte, hatte Brenna nicht am Telefon erwähnt, doch als Sarah eine Woche später

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