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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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noch mal angerufen und einen Termin mit ihr erbeten hatte, hatte sie ihr rundheraus erklärt: »Ich kann nur auf ein Wunder hoffen. Erwarten tue ich es nicht.«
    Â»Mom ist immer gern spazieren gegangen«, erzählte ihr Sarah jetzt.
    Brenna blätterte den Stapel Fotos durch und sah eine fröhliche Elizabeth, die in einem pinkfarbenen Jogginganzug neben Sarah stand; Elizabeth und Sarah, flankiert von einer jungen Pflegekraft und einem Golden Retriever, in Elizabeths Zimmer in dem Heim; Sarah und Elizabeth, die auf einer Parkbank unter pfirsichfarben blühenden Bäumen saßen und beide lächelten – deutlich glücklichere Aufnahmen als die, die sie drei Tage zuvor in ihrem eigenen Büro betrachtet hatte: Aufnahmen einer unglücklichen, blassen Frau, die Brenna nie zuvor gesehen hatte, einer Frau an ihrem Hochzeitstag, die allein vor einem Bürogebäude stand und einen Nelkenstrauß umklammert hielt.
    Â»Sie und Ihre Mutter scheinen sich sehr nahezustehen.« Brenna sprach absichtlich in der Gegenwart.
    Â»Mom war der einzige Mensch, mit dem ich je wirklich geredet habe.«
    Brenna nickte stumm.
    Â»Nein, ich meine, wirklich der einzige Mensch «, erklärte Sarah ihr. »Ich bin Freud’sche Analytikerin und bringe mein ganzes Leben damit zu, den Leuten zuzuhören, ohne selbst etwas zu sagen. Ich war nie verheiratet, und meine Freunde – nun, vielleicht unterhalten wir uns über Politik oder irgendwelche Filme, diskutieren über Trends in der psychiatrischen Pflege, aber ich öffne mich ihnen nicht.« Sie lehnte sich auf der Couch zurück und zog die dünnen Beine unter sich. »Das ist eine interessante Phrase, finden Sie nicht auch? Sich jemandem öffnen. Als risse man sich auf und ließe den anderen sein Innerstes sehen.«
    Â»Es kann manchmal ähnlich schmerzhaft sein«, stellte Brenna fest.
    Die Ärztin sah sie lächelnd an. »Sie sind keine große Freundin der Psychoanalyse.«
    Â»Nein.«
    Â»Ich auch nicht. Natürlich müssen alle Psychiater eine machen, aber jedes Mal wenn ich zu meinem Therapeuten ging, habe ich es so gedreht, dass die Sprache auf allgemeine Themen kam … zeit meines Lebens war meine Mutter die einzige Person, mit der ich gern gesprochen habe – selbst nachdem sie krank geworden ist.«
    Â»Und warum?«
    Â»Ich glaube, sie kann einfach gut zuhören«, erwiderte Sarah, und Brenna sah sie fragend an.
    Â»Jeder braucht diesen einen Menschen, wissen Sie? Die eine Person, mit der er reden kann.«
    Brenna dachte an Nelson, der sich in eine ihm fast unbekannte Frau verliebt hatte, mit der er ein paar Wochen täglich mit dem Zug in die Stadt gefahren war. Er hatte sich in sie verliebt, denn sie hatten miteinander gesprochen und einander zugehört. Dann dachte sie an Jim, den sie seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte, aber noch immer dafür brauchte, dass er die Worte las, die sie in ihren Computer tippte, ihre Gedanken nachvollzog, ihr zuhörte … Und schließlich dachte sie an Maya, die am Vorabend auf das gewohnte Augenverdrehen und die schweigende Verachtung kurzfristig verzichtet und zum ersten Mal seit langer Zeit richtig mit ihr gesprochen hatte … wobei sie von ihr gedanklich abermals im Stich gelassen worden war. Oder eher, wobei sie beide abermals von ihrem Hirn im Stich gelassen worden waren …
    Brenna musste mühsam schlucken. »Jede Mutter sollte eine gute Zuhörerin sein.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Was ich sagen will, ist … dass ich alles in meiner Macht Stehende unternehmen werde, um Elizabeth zu finden.«
    Im Verlauf der nächsten Stunde diskutierten beide Frauen über Elizabeths Vorlieben, Abneigungen, Leidenschaften, Lieblingsärgernisse, über das, was sie am liebsten aß (Nudeln mit jeder Menge Knoblauch, frische Tomaten, Crème brûlée), darüber, welche Musik sie am liebsten hörte (Sinatra, Rimsky-Korsakow), ihre Lieblingskomiker (Marx Brothers und Woody Allen), ihre Lieblingstiere (eine Reihe superängstlicher Chihuahuas sowie eine übergewichtige, ausnehmend anspruchsvolle Katze) sowie über die Höhen und Tiefen eines langen Lebens, das oft ziemlich kompliziert gewesen war.
    Im Gegensatz zu Nelson Wentz konnte Sarah Antworten auf alle ihre Fragen geben, denn sie wusste alles über ihre Mutter, und sie liebte es, ihr – von den kleinsten Grillen bis hin zu den

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