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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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solche Angst, daß ich nicht mehr ein noch aus weiß. Ich würde nur wieder einschlafen, mit Sicherheit – total frustriert bin ich schon drauf und dran, vollends zu resignieren und einfach weiterzuschlafen. Ich bin wirklich soweit, daß ich keinen Ausweg mehr sehe. Und so laufe ich auf die Straße hinaus.
     
    Der Himmel ist noch dunkel, doch in die angenehm kühle Luft mischt sich langsam immer mehr von dem stickigen Geruch des Sommers. Auf den Straßen laufen bloß Jogger, Spätheimkehrer, Hundehalter und Alte herum. Verglichen mit diesen Leuten, die alle ein Ziel zu haben scheinen, muß ich, die ich verwirrt mit nichts als meinen Kleidern auf dem Leib durch die Straßen irre, wohl wirken wie ein im Morgengrauen umherwandelndes Gespenst.
    Ich weiß nicht, wohin, also schlendere ich eben langsam in Richtung Spielplatz. In diesem wirklich winzigen, zwischen den Wohnblocks direkt hinter meinem Apartmenthaus eingeklemmten Park sind Shiori und ich oft gewesen, um uns nach durchgemachten Nächten die Füße zu vertreten. Eine Bank, ein Sandkasten und eine Schaukel – das ist alles. Ich setze mich auf die verwitterte Holzbank und vergrabe meinen Kopf in die Arme wie ein Arbeitsloser. Mein Magen knurrt wie verrückt, ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Was ist bloß aus mir geworden, denke ich. Es kommt mir vor, als sei ich an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr in der Lage bin, über mich zu verfügen. Ich bin nur noch müde, so müde, daß ich nicht einmal mehr denken kann.
    Nebel steigt auf. Das bunte Tierornament im Sandkasten sieht aus, als würde es qualmen. Der Duft feuchten Grüns, der Geruch nach Erde erfüllen den Platz. Den Kopf immer noch in den Armen vergraben, kämpfe ich mit meinen Lidern, die zuzufallen drohen, während mir das Muster meines Rocks dunkel vor den Augen tanzt.
    »Ist Ihnen nicht gut?« höre ich eine weibliche Stimme sagen. Ich schäme mich so, daß ich tatsächlich einen Augenblick lang daran denke, so zu tun, als ob mir schlecht wäre, lasse es aber sein, da das alles nur noch komplizierter machen könnte, wenn es hart auf hart käme, und blicke auf. Neben mir sitzt ein Mädchen in Jeans, ungefähr in dem Alter einer Oberschülerin, und sieht mich prüfend an. Sie macht sehr große, kristallklare, wunderliche Augen, die unheimlich weit in die Ferne zu blicken scheinen.
    »Nein, nein, alles in Ordnung, ich war nur ein bißchen müde«, sage ich.
    »Sie sind aber ziemlich blaß«, sagt sie besorgt.
    »Alles in Ordnung, wirklich. Vielen Dank.« Ich lächele, und sie lächelt zurück. Der Wind fährt sachte durch das Grün, und ein frischer Duft streicht vorüber. Sie bleibt reglos neben mir sitzen. Da sie keinerlei Anstalten macht aufzustehen, lasse auch ich die Gelegenheit dazu verstreichen und blicke weiter vor mich hin. Eine merkwürdige Aura geht von ihr aus: Irgendwie läßt sie sich nicht mit der Umgebung in Einklang bringen, so als gehörte sie nicht hierher. Sie ist ein sehr schönes Mädchen, die langen Haare fallen ihr locker über die Schultern. Und doch macht sie einen irgendwie unnormalen Eindruck. Sie ist vielleicht nicht ganz richtig im Kopf …, denke ich. Zugleich aber werde ich, einfach dadurch, daß ich mit einem anderen Menschen zusammen bin, langsam lockerer.
    Ich denke daran, wie oft ich so mit Shiori hier gesessen und die Schaukel angeschaut habe. Frühmorgens, nachdem wir die ganze Nacht Videos geguckt hatten und dann vor lauter Aufregung nicht einschlafen konnten, hatten wir uns im 24-Stunden-Laden heißen Tee und gefüllte Reisklöße geholt und hier auf der Bank verspeist. Ich haßte die Dinger mit Thunfisch-Mayonnaise-Füllung, aber Shiori aß sie für ihr Leben gern.
    »Geh zum Bahnhof, jetzt sofort!« sagt sie plötzlich. Ich zucke zusammen. War wohl wieder drauf und dran gewesen einzuschlafen. Ich wende mich zu ihr um und blicke in ihre strenge Miene. Zusammengezogene Augenbrauen verfinstern ihr Gesicht, und ihre Stimme hört sich ganz anders an als eben, entschieden tiefer.
    »Wie …? Zum Bahnhof?« Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Sie ist schräg, denke ich, und mir wird ein wenig mulmig. Sie erhebt sich, baut sich vor mir auf und starrt mir direkt ins Gesicht. Sie macht wirklich wunderliche Augen. Obwohl auf mich geheftet, scheint ihr Blick ein Ziel irgendwo in weiter Ferne anzupeilen. Von diesen Augen ins Visier genommen, verschlägt es mir die Sprache. Sie spricht weiter:
    »Und dann kaufst du dir die neueste Ausgabe von Job

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