Dornroeschenschlaf
einen einfachen, öden, kleinen Job, der in Streß ausartet. Also fuhr ich meinen Trafo auf ungefähr ein Drittel des normalen Energie-Outputs herunter und arbeitete träge vor mich hin. Dadurch erledigte ich Arbeiten nicht termingerecht, machte Fehler, übersah ganze Zeilen bei der Dateneingabe, faxte leere Blätter und so weiter und so fort. Ich machte das nicht extra, aber nachdem solche Sachen ungefähr alle drei Tage einmal vorgekommen waren, vertraute mir niemand mehr kniffligere Arbeiten an – und schon war der Job auf wundersame Weise richtig gemütlich geworden.
Es geschah an einem Sonntag. Die Firma war geschlossen, niemand arbeitete, aber ich ging alleine ins Büro, um einem Fehler nachzugehen, der mir am Vortag unterlaufen sein mußte. Während ich so dasaß in dem großen, stillen Büroraum und in aller Ruhe Daten eingab, beschlich mich plötzlich eine vage Unruhe.
Ich hatte das ungute Gefühl, ich könnte während der letzten zwei Monate, in denen ich immer so getan hatte, als sei ich leicht beschränkt, tatsächlich blöd geworden und vielleicht gar nicht mehr in der Lage sein, schneller zu arbeiten als in diesem Tempo. Diese Sorge erwies sich als nicht allzu begründet, aber damals, als sie mir in den Sinn kam, schien sie doch ziemlich real. Und während ich auf den grünen Bildschirm starrte, wurde sie größer und größer. Plötzlich wallte der Gedanke in mir auf, ich könnte mir womöglich die ganze Zeit bloß vorgemacht haben, meine wahren Qualitäten zu verbergen, und wäre in Wirklichkeit absolut nicht fähig, Büroarbeit zu leisten. Quatsch, wo gibt’s denn so was, sagte ich mir und wollte es wissen. Klar, daß ich der Versuchung, es mir zu beweisen, unmöglich widerstehen konnte. Ich sah mich um: Außer mir schien niemand da zu sein. Na dann los! – Wenn ich an damals zurückdenke … Meine Güte, bin ich jung gewesen! Mit enormem Eifer begann ich, die Daten, die vor mir lagen, einzugeben. Jetzt, wo mich einmal die Lust gepackt hatte, arbeiteten meine beiden Hände so schnell und gewissenhaft wie schon lange nicht mehr, und ich war rundum zufrieden. Die Korrekturen waren im Handumdrehen erledigt, und ich bekam Lust auf mehr: Ein Liedchen auf den Lippen, begann ich den Computer zu bearbeiten, um die unerledigten Schreibarbeiten fertigzumachen, die sich bei mir stapelten. Es war, als hätte man jemandem, dem man lange Zeit die rechte Hand festgebunden hatte, plötzlich wieder beide Hände freigegeben. Als nachher alles ausgedruckt vor mir lag, kriegte ich mich nicht mehr ein vor Freude über das schöne Schriftbild – der ganze angestaute Streß des unfreiwilligen Linkshänderdaseins mußte sich wohl gewissermaßen einen Weg nach draußen bahnen. Auch das Kopieren ging schnell, wenn man es ernsthaft machte – kurzum, ich geriet in einen solchen Arbeitsrausch, daß ich gleich noch verschiedene Sachen für andere Leute miterledigte.
Nach zwei Stunden war ich mit allem fertig. Haah, seufzte ich und erhob mich vom Schreibtisch: Da plötzlich fiel mein Blick auf ihn, der ganz still an einem Schreibtisch in der hintersten Ecke des verlassenen hellen Großraumbüros saß. Vor Schreck zuckte ich zusammen. Ich hatte ihn absolut nicht bemerkt. Er war zwar nicht mein direkter Vorgesetzter, aber er gehörte zu einer Abteilung, in die ich öfter aushilfsweise geschickt wurde – er wußte also genaustens Bescheid über meine bisherige Arbeitsweise, bei der ich mich nicht gerade durch Fleiß ausgezeichnet hatte. Verdammt, dachte ich. Er grinste über beide Ohren, als ob er sich die ganze Zeit diebisch auf den Moment gefreut hätte, in dem ich ihn endlich bemerken würde.
»Waren Sie die ganze Zeit hier?« fragte ich.
»… Keine Sorge. Nichts liegt mir ferner, als zu sagen: ›Sehen Sie, Sie können es doch, wenn Sie nur wollen!‹« Mehr konnte er nicht sagen – er brach in schallendes Gelächter aus.
Dann sind wir einen Tee trinken gegangen. In einem kleinen Café direkt gegenüber dem Bürogebäude. Es war bereits Abend geworden, und außer uns saßen noch eine ganze Reihe von Pärchen da, die den Sonntag genossen und vertraut miteinander flüsterten.
»Sie haben sich ja eben fast selbst überholt, so schnell waren Sie. Warum arbeiten Sie nicht immer so?« fragte er.
Auf der Suche nach möglichen Verteidigungsstrategien dachte ich mir verschiedene Antworten aus, brachte aber am Ende nur »Weil es ein Aushilfsjob ist« heraus.
»Ah, hab schon verstanden«, sagte er und schmunzelte wieder
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