Dornroeschenschlaf
einfach überglücklich, daß ich diese Nacht mit klarem Kopf und hellwachen Augen erleben kann.
Wie ein Gebet erfüllt mich dieses Gefühl:
Lieber Gott, mach, daß jeder Schlaf auf dieser Welt gleichermaßen friedvoll und erholsam sein möge!
Endlich ertönt ein lauter Knall wie Donnergrollen am Himmel. Die Hälfte einer Feuerwerksrosette lugt flüchtig zwischen den Silhouetten der riesigen Hochhäuser hervor und erhellt für einen Augenblick den Himmel wie ein buntes Wasserzeichen.
»Da, hast du gesehen?! Ich hab’s gesehen, ganz kurz nur!«
Er sagt das mit Rücksicht auf mich, weil er denkt, ich sei zu klein, dabei rüttelt er ausgelassen wie ein kleiner Junge an meiner Schulter herum.
»Keine Bange, ich hab’s ja auch gesehen, es sah irgendwie süß aus, so klein. Wie ein Spitzendeckchen!« sage ich. Der kleine Lichterstrauß, der sich da plötzlich am klaren Nachthimmel aufgetan hat, ist so weit weg gewesen, daß man ihn beinahe nicht als Feuerwerk erkannt hätte.
»Ja, wirklich, wie die Miniaturausgabe eines Feuerwerks!« antwortet er, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden.
Eine Feuerwerksrakete nach der anderen wird abgeschossen, bewundernde Freudenschreie wallen auf und ebben ab, der donnernde Knall folgt Sekundenbruchteile später wie ein Echo. Die Menschen strömen nach wie vor lärmend zum Fluß und bahnen sich ihren Weg an uns vorbei, das Gewusel wird immer größer um uns herum, aber wir halten eisern die Stellung und sehen zum Nachthimmel auf. Wir haben seltsamen Gefallen gefunden an diesen kleinen Lichterblumen, die von Zeit zu Zeit zwischen den Silhouetten der Hochhäuser herausschauen, und halten uns fest in den Armen. So bleiben wir noch eine Ewigkeit dort stehen und warten mit klopfenden Herzen auf das nächste Feuerwerk.
Wanderer der Nacht
My Dear, SARAH
It was spring when I went to see my brother off. When we arrived at the airport his girlfriends who were dressed in beautiful colors waited for him. Oh, I was sorry, in these days he had many lady loves. The sky was fair …
Voll Wehmut hielt ich beim Aufräumen inne, als mir aus den Tiefen der Schublade der alte Zettel mit dem Entwurf für den Brief in die Hände fiel. Wieder und wieder las ich die englischen Worte, als hätten sie mir etwas zu erzählen.
Es war ein Brief an Sarah, eine Austauschstudentin aus Amerika. Mein Bruder Yoshihiro, der vor einem Jahr gestorben ist, war in seiner Oberschulzeit mit ihr zusammengewesen. Kaum war Sarah nach Boston zurückgekehrt, hatte Yoshihiro ständig davon geredet, auch mal im Ausland leben zu wollen, und war ihr kurze Zeit später aus einer Laune heraus gefolgt. Fast ein ganzes Jahr war er drüben geblieben, hatte gejobbt oder einfach nur rumgehangen …
Während ich las, erinnerte ich mich Stück für Stück wieder an damals. Der Brief war meine Antwort auf einen Brief von Sarah, in dem sie mir berichtete, was Yoshihiro in letzter Zeit so gemacht hatte. Sie war besorgt, weil er ganz plötzlich verschwunden war und kaum von sich hören ließ. Ich, ein Oberschulmädchen, das sich damals die heutige Situation nicht im Traum hätte vorstellen können, hatte dann diesen Brief an das sanfte und schöne American girl geschrieben, mit klopfendem Herzen und dem Finger im Wörterbuch. Ja, Sarah – ein richtig süßes Mädchen mit klugen blauen Augen war sie. Alles Japanische machte ihr Spaß, und immer lief sie hinter meinem Bruder her. »Yoshihiro« hier, »Yoshihiro« da. Ihre Stimme floß geradezu über vor Liebe, wenn sie seinen Namen rief.
Sarah.
Plötzlich hatte Yoshihiro die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen. »Hier, kannst sie ruhig fragen, wenn du was nicht weißt in Englisch.« Mit dieser feinfühligen Vorstellung hatte er mich zum ersten Mal mit ihr zusammengebracht. Das war, als Sarah mit meinem Bruder auf ein Sommerfest in einem Schrein in der Nachbarschaft gegangen und auf dem Heimweg noch bei uns vorbeigekommen war. Ich saß damals gerade am Schreibtisch und brütete über den Hausaufgaben, die wir für den Sommer aufbekommen hatten. Weil Sarah sich extra angeboten hatte, beschloß ich, mir den Englischaufsatz von ihr schreiben zu lassen. Da sie sehr hilfsbereit schien, hätte ich mich unwohl gefühlt abzulehnen. Obwohl ich ungelogen einzig in Englisch schon immer Spitze war.
»Also, ich laß dir Sarah, aber nur für eine Stunde, dann bringe ich sie nach Hause«, sprach mein Bruder und verschwand ins Wohnzimmer, um fernzusehen.
»Tut mir leid, wenn ich euer date
Weitere Kostenlose Bücher