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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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zurückgehen würde. Sarah hatte ihn zurückhalten wollen, meinte er. Und das letzte halbe Jahr waren wohl alle drei hoffnungslos miteinander verstrickt. Dieses Hin und Her – das war nichts für Yoshihiro. Du weißt ja, daß er in solchen Situationen immer weglief. Aber in Amerika gab es keinen, zu dem er wirklich hätte gehen können. Er hatte ja sonst niemanden, der ihm nahestand. Für Sarah war es aber bestimmt auch ganz schön schwer: kaum in Japan angekommen, Yoshihiro zu begegnen und sich richtig zu verlieben. Damals, als zwischen mir und Yoshihiro noch gar nichts lief, hat sie mir oft erzählt, wie schwer es für sie sei. Weil sie einen festen Freund in Boston habe und, obwohl sie Yoshihiro dermaßen liebe, Japan doch so anders sei. Und daß sie zwar im Moment hier in Japan Studentin sei, aber demnächst zurückmüsse … Yoshihiro sagte, er wisse nicht, ob Sarahs Schwangerschaft echt sei oder nur vorgetäuscht. Aber wenn die Sache tatsächlich stimme, dann sei das Kind mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit von dem anderen.«
    »Ich hatte keinen blassen Schimmer.« Allerlei Gedanken gingen mir durch den Kopf.
    Die Schwangerschaft war natürlich nicht das einzige, von dem ich nichts gewußt hatte. Auch von dem Freund in Boston hatte ich keine Ahnung gehabt. An jenem Tag hatte Sarah sicher der kleinen Schwester ihres Freundes von einem Traum erzählt, der nur während ihrer Zeit in Japan existierte. Hatte sie mir, der naiven kleinen Schwester, die perfekte Freundin von Yoshihiro nur vorspielen wollen? Mir fiel wieder ihr durchscheinend goldener Pony ein, als sie meine Hausaufgaben gemacht hatte. Der unbeschwerte Blick. Nein, das konnte nicht sein! Damals hatte es Sarah wirklich ernst gemeint. Ihre Augen, die glauben wollten, daß alles irgendwie gut gehen würde … War ihr Freund in Boston wohl der Typ Geschäftsmann, von dem sie damals gesprochen hatte? Hatte Yoshihiro Sarahs Leben völlig aus der Bahn geworfen und war dann einfach verschwunden?
    So sehr ich auch darüber nachdachte – ich konnte das alles nicht verstehen. Das einzige, was ich begriff, war: Sarah war damals schon erwachsen gewesen. Erwachsener als ich, auch als Yoshihiro und Marië. So erwachsen, daß sie einem leid tun konnte.
    Ich wurde langsam betrunken. Mittlerweile war das Düstere im Laden erstaunlich tief herabgesunken, heimlich, still und leise. Dennoch stachen Mariës Konturen klar und deutlich hervor, deutlicher als etwa die der muffig dreinschauenden Bedienung, die weiter weg an der Theke mit Gästen redete. Deutlicher als die Züge der langhaarigen Superschönheit, die mit ihrem lover die Köpfe zusammensteckte. Und auch deutlicher als die der Frau mit den kindlichen Gesichtszügen, die am Fenster in einer Zeitschrift blätterte und rauchte. Warum ist das wohl so? ging es mir durch den Kopf.
    »Sag mal … ist Sarah vielleicht gerade in Japan?« fragte Marië.
    »Warum sollte sie? Hör mal, sie war doch bloß Austauschstudentin. Und das vor ein paar Jahren. Sie ist ja noch nicht mal gekommen, als Yoshihiro gestorben ist«, antwortete ich erstaunt. Marië wußte doch genau, daß ich ihr ohne falsche Rücksichtnahme Bescheid sagen würde, wenn Sarah in Japan wäre. Ihre Züge entspannten sich. »Gestern hatte ich einen rätselhaften Anruf«, meinte sie.
    »Inwiefern rätselhaft?«
    »Nachdem ich mich mit ›Ja‹ gemeldet hatte, herrschte Stille. Und als ich eine Weile die Ohren spitzte, konnte ich im Hintergrund eine Männerstimme Englisch reden hören. Na ja, vielleicht war es nur einer dieser Anrufe, wo sich keiner meldet, und im Hintergrund lief der Englischunterricht des Schulfernsehens. Aber- die Dichte dieses Schweigens … Weißt du, so ein Schweigen, als ob jemand gleich losreden wollte, als ob jemand ganz durcheinander wäre. Nur deshalb bin ich auf diese Idee gekommen.«
    »Ach …?« Um ehrlich zu sein, zu diesem Zeitpunkt interessierte Sarah mich überhaupt nicht. In erster Linie war mir Marië unheimlich, die über Angelegenheiten meines vor einem Jahr gestorbenen Bruders sprach, als wäre das völlig normal. »Falls ich etwas erfahre, sag ich’s dir.«
    Marië lächelte. »Ja, tu das.«
    Als wir uns trennten, ließ Marië ganz normal, als wäre es nicht mitten in der Nacht, ein »Also dann!« verlauten und eilte leichtfüßig davon. Ich wartete, bis sich ihre Schritte auf dem Asphalt entfernten, und begann dann selbst die dunkle Straße entlangzuwandern.
     
    Früher, als ich noch zur Mittelschule ging,

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