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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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hatten uns meine Eltern einmal im Streit wegen einer Geliebten meines Vaters allein gelassen. Mitten im Winter war das.
    Wahrscheinlich war es, wie das ja öfter vorkommt, nur ein harmloser Seitensprung. Aber meine hysterisch gewordene Mutter war zu ihren Eltern gezogen, ohne Rücksicht auf Yoshihiro und mich. Vater war ihr nachgefahren, um sie zurückzuholen. Die Geschichte schien sich noch verschlimmert zu haben. Aber wer denkt, die im Stich gelassenen Geschwister hätten weder aus noch ein gewußt, der irrt sich gewaltig. Als erstes riefen wir Marië an und quartierten sie bei uns ein. Dann nutzten wir drei die Gelegenheit, hoben mit der cashcard massenhaft Geld ab und kauften einfach alles, worauf wir Lust hatten. Jeden Abend tranken wir Alkohol und blieben bis spät in die Nacht auf. Auf mich hatte die achtzehnjährige Marië damals schon wie eine erwachsene, schöne Frau gewirkt.
    Richtig, damals haben wir drei in einem Raum geschlafen.
    Natürlich war es eine Nacht, in der es schneite, und es war so bitter kalt, daß man noch nicht mal zur Toilette gehen wollte. Gleich hinter den Fensterscheiben lauerte sie, die klirrende Eiseskälte.
    Im Zimmer war es warm, und wir, betrunken und noch dazu mit vollgeschlagenen Bäuchen, hatten an jenem Abend angezogen am Kotatsu { * } geschlafen. Als erster atmete Yoshihiro ruhig und gleichmäßig im Schlaf. Marië fielen ebenfalls schon die Augen zu. Als auch ich mich vor lauter Müdigkeit nicht mehr aufrecht halten konnte und wortlos hinlegte, trafen sich unsere Blicke. »Ach, dann laß uns doch einfach hier schlafen«, hatte Marië gesagt. Sie richtete sich halb auf und küßte Yoshihiro mit einem »Schlaf gut!« auf die Wange. Als ich erstaunt guckte, hatte sie gelacht und gerechterweise auch mir so einen Kuß gegeben.
    »Danke«, hatte ich gesagt. Marië lächelte mir zu, legte sich arglos zurück und schloß die Augen. Immer höher eingeschlossen vom lautlos fallenden Schnee in tiefer Nacht, betrachtete ich die Schatten, die Mariës lange Wimpern auf ihre weiße Haut warfen, und schlief ein.
    Nach vier Tagen kamen Vater und Mutter schließlich zurück. Erschrocken besahen sie sich das verschlampte Haus und uns drei, die wir plötzlich recht seltsam aussahen und mit unserem Kater zu kämpfen hatten. Sie waren blitzwütend auf Yoshihiro, dem s ie die Schuld an allem gaben.
    Aber der ließ sich nicht unterkriegen. »Wir dachten, daß ihr euch vielleicht trennt, und da hatten wir Angst und wußten nicht, was wir machen sollten!« So einer war er, er brachte sie sogar zum Heulen. Äußerst spaßig!
    Die Nacht damals hatte geglitzert und gefunkelt und wirkte so tief wie die Unendlichkeit. Hinter Yoshihiro, in dessen Augen wie immer der Schalk blitzte, glaubte man eine Landschaft irgendwo in weiter Ferne erblicken zu können.
    Ein ganzes Panorama …
    Möglicherweise war das ja die »Zukunft« gewesen, der ich mit kindlichem Gemüt entgegengeblickt hatte. Yoshihiro war damals ein Wesen für mich, das durch die Nächte wanderte, ein Wesen, das einfach nicht sterben konnte.
    Ja, und weil Yoshihiro dann den Rest seines Lebens so gut wie nie zu Hause war, wurde er mir fast fremd. Ganz anders als in Kindertagen.
    Aber wenn ich so mit Marië erzähle, sehe ich ihn plötzlich vor mir, und ich sehne mich nach ihm. Genau wie an Taifunabenden. Oder im Sommer, wenn wir zu Hause in der brütenden Hitze stöhnen und die Klimaanlage hochstellen. Das ist schon immer so gewesen mit ihm, egal ob er in der Nähe ist oder weit weg, ob er tot ist oder lebt: Völlig unerwartet erscheint er wie aus dem Nichts und wühlt mein Innerstes auf. Läßt mein Herz schmerzen.
     
    Früh am Morgen klingelte das Telefon.
    Da es direkt neben der Tür zu meinem Zimmer steht, ging ich noch ganz verschlafen hin und hob ab. Als ich mich mit: »Ja, hier Yamaoka« meldete, stieß eine Frau am anderen Ende ein überraschtes »Ah!« hervor. Ob das wohl, wie Marië gesagt hatte, Sarah ist? dachte ich. Probehalber verglich ich diese Stimme mit der Sarahs in der hintersten Ecke meines Gedächtnisses, konnte aber zu keinem Schluß kommen. Sie schien ihr zu ähneln, dann aber auch wieder nicht.
    »Sarah?« fragte ich.
    Eine Weile herrschte Schweigen, und ich hatte das Gefühl, daß jeden Augenblick aufgelegt würde. Einfach nur Schweigen – ohne Ja, ohne Nein.
    Direkt aus dem Schlaf gerissen, konnte ich noch gar nicht klar denken. Ich fühlte mich irgendwie unsicher auf den Beinen, und durch meinen Kopf wirbelten allerlei

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