Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
Vom Netzwerk:
Gänsehaut bekam. Und an dieses eine Jahr, in dem ich eine melancholische Marië erlebt hatte, still wie ein Schatten, und auch an mich selbst, die ich ganz in ihrer Nähe eine eigentümliche Zeit durchlebt hatte.
    Ich mummelte mich ins Bettzeug und sagte: »Das letzte Jahr war ganz schön seltsam für uns, nicht, Marië? Raum und Zeit waren anders als sonst, anders als im Fluß unseres übrigen Lebens. Abgeschottet waren wir, ganz still war es um uns. Wenn wir später einmal auf diese Zeit zurückblicken, wird sie uns sicher wie ein einziges Gebilde von unverwechselbarer Farbe vorkommen.«
    »Ganz bestimmt!« Auch Marië schlüpfte unter die Decke. Auf dem Bauch liegend, zog sie einen Arm unter dem aufgestützten Kinn hervor und zeigte mir den Ärmel ihres Schlafanzugs. »Und zwar von diesem tiefen Blau! Wie die Farbe der Nacht, die alles in sich konzentriert, die Augen, Ohren und Mund, die einfach alles umschließt.«
    Es schneite ohne Ende. Wir wandten uns wieder dem Bildschirm zu, spielten ganz versunken weiter Videogames und schliefen irgendwann darüber ein.
    Als ich hochschreckte und die Augen aufschlug, sah ich Marië neben mir liegen, das Gesicht im Schein der Bildröhre. Halb hing sie aus ihrem Futon heraus und hielt mit einer Hand den joystick fest. Als habe sie ihre Seele ausgehaucht auf halbem Weg zum Ziel. Im tiefen Brummton des laufenden Videospiels hörte ich ihren leisen Atem.
    Im Schlaf wirkte Mariës Gesicht seltsam. Verweint und vor Einsamkeit ganz unschuldig. Und um keinen Deut anders als vor diesem Jahr, oder als in ihrer Kindheit.
    Ich deckte sie zu und schaltete den Fernseher aus. Es wurde stockfinster. Draußen vor dem Fenster fiel dicht der Schnee. Schwach drang sein sanftes helles Leuchten durch einen Spalt im Vorhang herein.
    »Gute Nacht!« murmelte ich und schlüpfte unter die Decke.

Eine geheimnisvolle Erfahrung
    In der Nacht glänzen im Garten die Bäume. Im Schein der Lichter treten das glitzernde Grün der Blätter und das dunkle Braun der Stämme ganz deutlich hervor.
    Das ist mir erst aufgefallen, seit ich in letzter Zeit so viel trinke. Jedesmal, wenn ich dieses Bild mit alkoholverhangenem Blick betrachte, bin ich derart berührt von seiner Reinheit, daß mir alles egal wird und es mir nichts ausmachen würde, alles zu verlieren.
    Mit Resignation oder totaler Verzweiflung hat diese Stimmung nichts zu tun, vielmehr ruft sie eine stille, aufrichtige Ergriffenheit in mir hervor, der ich mich einfach überlassen muß.
    So oder ähnlich sehen neuerdings meine allabendlichen Gute-Nacht-Gedanken aus.
    Ich trinke wirklich zuviel, deshalb nehme ich mir immer wieder vor, mich mit dem Alkohol zurückzuhalten. Mittags bin ich noch fest entschlossen, abends nur ganz wenig zu trinken; wenn der Abend dann aber gekommen ist und ich ihn mit einem Glas Bier einläute, geht plötzlich alles ganz schnell. Nur noch ein bißchen, und du hast die nötige Bettschwere, denke ich, und schon mixe ich mir ein Glas Gin Tonic. Je später der Abend, desto größer wird der Ginanteil, und um so stärker der Drink. Und während ich mir geräuschvoll die ich weiß nicht wievielte Handvoll buttriges Popcorn mit Sojasaucen-Geschmack in den Mund stopfe, das beste Knabberzeug, das in der Amtszeit von Kaiser Hirohito erfunden wurde, denke ich: Mist, heute abend hast du also auch wieder nach dem üblichen Schema F gesoffen. Nicht so viel, daß ich Schuldgefühle deswegen hätte, aber manchmal bin ich doch etwas geschockt, wenn plötzlich wieder die ganze Flasche von irgendeinem Zeug leer ist.
    Erst, wenn ich betrunken ins Bett stolpere und sich alles dreht um mich herum, dringt dieser wohlige Gesang an mein Ohr.
    Anfangs hab ich gedacht, es sei mein Kissen, das da so schön singt. Ich kann mir nämlich durchaus vorstellen, daß ein Kissen, das sich jederzeit so sanft und liebevoll an meine Wangen schmiegt, sicher auch in der Lage wäre, solch eine klare Stimme erklingen zu lassen. Da ich sie aber nur dann hören kann, wenn ich die Augen schließe, hab ich sie einfach für einen angenehmen Traum gehalten. Allerdings bin ich in diesen Momenten nie bei so vollem Bewußtsein, daß ich eingehender darüber nachdenken könnte.
    Die Stimme ist leise und lieblich. Es kommt mir so vor, als würde sie mit ihrem wiegenden Auf und Ab meine Seele genau dort massieren, wo sie besonders verhärtet ist, und all meine Verspannungen lösen. Sie erinnert mich an das Rauschen der Wellen. Und an das Lachen von Menschen, denen ich

Weitere Kostenlose Bücher