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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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Dostojewskij nur dadurch, dass er Signale einsetzt, die nur von einem literarischen Text ausgehen können.
    So lässt die Leerzeile der Brüder Karamasow die für Dostojewskij typische Strategie der Verbalisierung auf exemplarische Weise sichtbar werden. Im Unterschied zu Flaubert spielt Dostojewskij ständig mit der Möglichkeit, das mot juste dem Leser zu überlassen. Entscheidende Sachverhalte werden im Medium des Erzählens seines Erzählers nur eingekreist, nicht aber unmittelbar benannt. Solches Verfahren lebt von der Aussparung. Ja, Dostojewskij legt es geradezu darauf an, in seinen Intentionen verkannt zu werden, indem er diese regelrecht versteckt. Das fördert natürlich zunächst einmal die Spannung, hat aber den tieferen Grund, den Leser von allein auf die Wahrheit kommen zu lassen, damit er sie dadurch auch wirklich »sieht« und sie nicht nur gesagt bekommt. So haben also Dostojewskijs Spannungsmittel immer ein didaktisches Fernziel.
    Ich spitze zu und wiederhole: Dostojewskijs Konstruktion der Brüder Karamasow kreist um die Leerzeile im vierten Kapitel des Achten Buches. Dieses Kapitel heißt »Im Dunkeln«. Alles was vorher geschildert wird, dient der Vorbereitung dessen, was im Dunkeln geschieht. Alles was danach geschildert wird, dient der Aufklärung dessen, was im Dunkeln geschehen ist. Die Architektonik der Brüder Karamasow ist im Herzen der Finsternis zentriert.
    Sittengesetz und Strafgesetz
    Dieses Herz der Finsternis wird von zwei Gerichtsverhandlungen eingefasst, die jeweils am Anfang und am Ende der Gegenwartshandlung stehen. Ich spreche von den Szenen im Kloster, genauer: von den Szenen in der Einsiedelei (russ. skit ), die die Hauptlinie des Geschehens eröffnen , und den Szenen im Gerichtssaal, die die Hauptlinie des Geschehens abschließen. Die Einsiedelei ist der Ort des Sittengesetzes. Der Gerichtssaal ist der Ort des Strafgesetzes. Zwischen diesen beiden Orten der Gerechtigkeit vollzieht sich das Schicksal der drei Brüder Karamasow, die der Titel des Romans bezeichnet: mit Dmitrij Karamasow an der Spitze, denn ihm gilt der Kniefall des Starez Sossima in der Einsiedelei, und ihm gilt der Schuldspruch der Geschworenen vor Gericht.
    Zwischen der »Einsiedelei« (Buch II) und dem »Gerichtssaal« (Buch XII) als den Orten der Gerechtigkeit liegt das Kapitel »Im Dunkeln«. Im Dunkeln findet der entscheidende Auftritt Smerdjakows statt: sein Mord in der Rolle Dmitrijs. Im »Gerichtssaal« ist von Smerdjakow nichts mehr zu sehen, weil er sich in der Nacht vor Beginn der Gerichtsverhandlung selber ausgelöscht hat; und in der »Einsiedelei« ist Smerdjakow nicht mit dabei, weil er nicht mit zur Familie Karamasow gehört. Nur im Dunkeln ist er vollkommen präsent: als Werkzeug des Teufels.
    Die Tat des geringsten ihrer Brüder liefert den drei Brüdern Karamasow den Spiegel für den Anblick ihrer eigenen Schuld an der schließlichen Wirklichkeit des Bösen. Seinen drei Brüdern »verdankt« Smerdjakow die Chance, die er nutzt, seine Identität in der Rache zu finden, in der Rache an seinem Erzeuger, den er ermordet, sowie an ihnen, denen er, in jeweils verschiedener Dosierung, seine Schuld aufbürdet. Smerdjakow hat sein Wesen im Ressentiment. Er besteht nur aus Schläue, die darauf wartet, destruktiv zur Anwendung zu kommen. Smerdjakow – das ist Sabotage, ins Metaphysische gewendet. Er ist dabei aber kein Herostrat, denn er will nicht gesehen werden.
    Alexej, Iwan und Dmitrij verhelfen Smerdjakow gemeinsam, so müssen wir sagen, zu seiner zweiten Geburt, die ihn aber nur dazu bringt, seine erste wieder rückgängig zu machen. Als Werkzeug des Teufels findet er seine Identität in der Paradoxie eines kreativen Nihilismus. Noch die Selbstauslöschung gehört ins schließliche Design seiner Rache: als Besiegelung des perfekten Verbrechens. Solch syllogistischer Triumph aber ist nur auf Kosten des lebendigen Lebens möglich, das sich aus Smerdjakow zusehends zurückzieht. Smerdjakows Seele erkrankt im Medium des Körpers, und er wirkt zum Schluss wie ein Gespenst. So bleibt über Smerdjakow festzustellen: »Einsiedelei« und »Gerichtssaal« nehmen ihn, grundsätzlich gesehen, nicht zur Kenntnis. Seine wahre Identität hat ihren Ort im Dunkeln.
    Die Haupthandlung der Brüder Karamasow verläuft zwischen »Einsiedelei« und »Gerichtssaal«. Bevor die Haupthandlung beginnt, ist von der Vergangenheit die Rede, gefasst als »Geschichte einer Familie« (Buch I). Als die Haupthandlung zu Ende

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