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Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Dostojewskijs Entwicklung als Schriftsteller: »Vom Toten Haus« zu den »Brüdern Karamasow« (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst-Jürgen Gerigk
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dass die Spielsucht in ihm die Liebe zu ihr verdrängt hat und immer wieder verdrängen wird. In hysterischem Schwanken zwischen Zärtlichkeit und Verachtung erleidet sie in seinem Hotelzimmer einen Nervenzusammenbruch.
    Der rote Faden im Spieler ist die Hassliebe zwischen Alexej und Polina. Beide wollen einander versklaven, so dass, wie Rudolf Neuhäuser erläutert hat, eine sadomasochistische Beziehung entsteht, die Dostojewskijs Spieler in eine überraschende thematische Nähe zu Leopold von Sacher-Masochs Roman Venus im Pelz rückt, der nur wenig später, im Jahre 1869, erschien. [151]   In solcher Nachbarschaft betrachtet, werden die beiden Hauptfiguren des Spielers , Alexej und Polina, exemplarisch für das Lebensgefühl der frühen Moderne, und das zwei Jahrzehnte vor dem Fin de siècle.
    Und doch liefert Dostojewskij mit dieser Liebesgeschichte nur die Folie für die zentrale Darstellung der Spielsucht seiner Titelgestalt. Alexej findet seine Identität nur in der zweckfreien Investition seiner Lebensenergie ins Roulette: in der Droge des Augenblicks. Dostojewskij etabliert mit dem Spieler den Begriff des »Russen im Ausland« in seinem literarischen Œuvre, ein Thema, das alle fünf großen Romane als Möglichkeit und Faktum durchzieht. Geboren aus Dostojewskijs eigener Lebenssituation, wird »Ausland« zu einem negativen Leitbegriff der allegorischen Landschaft seines poetischen Universums.

Fünftes Kapitel
    Beziehungen zwischen dem Leben und dem Werk Dostojewskijs
    Stichworte
    Die Beziehungen zwischen dem Leben und dem Werk Dostojewskijs sind nachweislich sehr eng. Er gehört zweifellos zu den großen Selbstverwertern der Weltliteratur. Dies sei nun in Stichworten verdeutlicht.
    Beginnen wir mit etwas Äußerlichem, den Schauplätzen seiner Werke. Es sind ausnahmslos Orte, an denen er selbst gelebt hat und die er deshalb im Detail aus eigener Anschauung kennt. Wie anders Karl May, wenn er uns vom Schatz im Silbersee erzählt oder mit uns das Schloss Rodriganda besucht, nichts davon hat er selber gesehen. Für Details gibt es Nachschlagewerke, der Rest ist Phantasie. Es wäre jedoch völlig falsch, wollte man diese beiden Prinzipien der Veranschaulichung des Ortes gegeneinander ausspielen. War Jules Verne am Mittelpunkt der Erde ? Hat er das Dorf in den Lüften tatsächlich gesehen? Hat Jonathan Swift die Akademie von Lagado zu Gesicht bekommen, bevor er sie mit ihren verrückten Wissenschaftlern in Gullivers Reisen so unvergesslich schildert? War Franz Kafka jemals in einer Strafkolonie ?
    Wenn Dostojewskij nichts erfindet, was seine Schauplätze betrifft, so ist das seine persönliche Marotte, die zu erforschen zur Schaffenspsychologie gehört. Dostojewskijs Frühwerk spielt (fast) ausschließlich in Petersburg, mit den Glanzstücken des Doppelgängers , der Wirtin und der Hellen Nächte . Hier ist er zu Hause, obwohl er ja in Moskau geboren wurde. Zu seinen einzelnen Lebensstationen sogleich noch Näheres. Nicht nur sein Frühwerk (bis 1849) ist in Petersburg angesiedelt, auch drei der fünf großen Romane haben es zum Schauplatz. In Verbrechen und Strafe wie auch im Grünen Jungen spielt dort die gesamte Gegenwartshandlung. Der Idiot beginnt und endet in Petersburg, mit kurzzeitigem Ausflug nach Pawlowsk. Die Atmosphäre der Nebelstadt an der Newa aber ist jeweils eine andere. So werden wir in den Aufzeichnungen aus dem Kellerloch mit einem Petersburg bei nassem Schnee konfrontiert, in Verbrechen und Strafe aber mit schwülen Tagen Mitte Juli. Auch ist das geschilderte Milieu jeweils ein anderes. Vera Biron hat 1991 eine Broschüre über Dostojewskijs Petersburg veröffentlicht, die allerdings noch nicht auf Deutsch vorliegt. Darin sind auch die zweiundzwanzig dortigen Adressen Dostojewskijs verzeichnet. [152]  
    Das Zuchthaus in Omsk wird zwar nur ein einziges Mal literarisch zentral vergegenwärtigt, das aber vergisst niemand, der die Aufzeichnungen aus einem toten Haus gelesen hat. Hat solch geniale Evokation einer in sich geschlossenen Welt aber etwas damit zu tun, dass der Autor selbst dort als Sträfling interniert gewesen ist? Die gleiche Frage gilt für den Epilog in Verbrechen und Strafe , wo »Sibirien« der Schauplatz ist. Böse Geister spielen in Twer, im Werk selber bleibt indessen die Stadt ungenannt, es ist immer nur von »unserer Stadt« die Rede. Und in den Brüdern Karamasow ist es die Stadt Staraja Russa, die den Schauplatz liefert, im Roman aber Skotoprigonjewsk heißt, ein

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