Double Cross. Falsches Spiel
in diesem Moment fiel ihr auf, daß die Frau sie beobachtete. Sie saß auf der anderen Seite des Gangs und sah unverwandt zu ihr herüber. Catherine drehte sich weg und gab vor, aus dem Fenster zu schauen, aber die Frau starrte immer noch herüber. Was hat diese Frau? Warum starrt sie mich so an? Sie sah der Frau ins Gesicht. Es kam ihr entfernt bekannt vor.
Der Bus näherte sich der nächsten Haltestelle. Catherine raffte ihre Sachen zusammen. Sie wollte kein Risiko eingehen. Sie mußte sofort aussteigen. Der Bus fuhr langsamer und hielt am Straßenrand. Catherine wollte gerade aufstehen, da beugte sich die Frau herüber, berührte sie am Arm und sagte: »Anna, Darling, bist du es wirklich?«
Nach dem Mord an Beatrice Pymm hat sie den Alptraum zum ersten Mal gehabt. Er beginnt jedesmal gleich. Sie spielt auf dem Fußboden im Ankleidezimmer ihrer Mutter. Ihre Mutter sitzt an ihrem Frisiertisch und pudert sich das makellose Gesicht. Papa betritt den Raum. Er trägt eine Smokingjacke mit Orden an der Brust. Er beugt sich über ihre Mutter, küßt sie auf den Hals und sagt ihr, daß sie sich beeilen müsse, da sie sonst zu spät kämen. Und dann betritt Kurt Vogel den Raum. Er trägt einen schwarzen Anzug wie ein Leichenbestatter und hat das Gesicht e ines Wolfes. Er hält ihre Sachen im Arm: ein schönes Silberstilett, dessen Griff ein Hakenkreuz aus Diamanten und Rubinen schmückt, eine Mauser mit aufgeschraubtem Schalldämpfer und einen Koffer mit einem Funkgerät darin.
»Beeil dich«, flüstert er. »Wir dürfen nicht zu spät kommen. Der Führer ist begierig darauf, dich kennenzulernen.«
Sie fährt in einer Pferdekutsche durch Berlin. Vogel, der Wolf, folgt ihr mit federnden Schritten. Der von Kerzenlicht erfüllte Festsaal ist wie eine schimmernde Wolke. Schöne Frauen tanzen mit schönen Männern. In der Mitte des Raumes hält Hitler hof. Vogel ermutigt sie, zu ihm zu gehen und mit ihm zu sprechen. Sie schlüpft durch die Menge, da bemerkt sie, daß alle sie ansehen. Zuerst denkt sie, weil sie so schön ist, aber dann verstummt die Unterhaltung, die Musik bricht ab, und alle starren sie an.
»Du bist kein kleines Mädchen. Du bist eine Spionin der Abwehr.«
»Nein, bin ich nicht.«
»Doch, das bist du. Deshalb trägst du das Stilett und das Funkgerät bei dir.«
»Nein! Das ist nicht wahr!«
Dann sagt Hitler: »Du hast die arme Frau in Suffolk ermordet, Beatrice Pymm.«
»Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!«
» Verhaftet sie! Hängt sie!«
Alle lachen sie aus. Plötzlich ist sie nackt, und alle lachen noch lauter. Sie sieht sich hilfesuchend nach Vogel um, doch der ist fortgerannt und hat sie im Stich gelassen. Und dann schreit sie, fährt schweißgebadet im Bett hoch und sagt sich, daß alles nur ein Traum war. Nur ein dummer Traum.
Catherine Blake nahm ein Taxi zum Marble Arch. Das Erlebnis im Bus hatte ihr einen Schock versetzt. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie die Situation nicht besser gemeistert hatte.
Sie war entsetzt aus dem Bus gestürzt, nachdem die Frau sie mit ihrem richtigen Namen angesprochen hatte. Sie hätte sitzenbleiben und der Frau in aller Ruhe erklären sollen, daß sie sich täusche. Sie hatte einen schweren Fehler begangen.
Mehrere Leute im Bus hatten ihr Gesicht gesehen. Ihr schlimmster Alptraum war wahr geworden.
Sie nutzte die Taxifahrt, um sich zu beruhigen und nachzudenken. Sie hatte immer gewußt, daß diese entfernte Möglichkeit bestand - die Möglichkeit, daß ihr jemand über den Weg lief, der sie kannte. Sie hatte nach dem Tod ihrer Mutter, als ihr Vater an die deutsche Botschaft in London versetzt wurde, zwei Jahre lang hier gelebt. Sie besuchte eine englische Mädchenschule, schloß jedoch keine engen Freundschaften.
Und 1935 verbrachte sie hier mit Maria Romero einen Kurzurlaub. Sie wohnten damals bei Freunden von Maria und lernten auf Partys, in Restaurants und im Theater viele junge Leute aus reichem Haus kennen. Sie hatte eine kurze Affäre mit einem Engländer, dessen Name ihr entfallen war. Vogel hatte die Ansicht vertreten, daß sie das Risiko eingehen könne und daß die Gefahr, einem Bekannten zu begegnen, äußerst gering sei. Und für den Fall des Falles hatte sie ihre Antwort parat: Tut mit leid, aber Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.
Sechs Jahre lang passierte es nicht. Sie wurde sorglos. Und als es dann passierte, war sie in Panik geraten.
Schließlich fiel ihr ein, wer die Frau war. Sie hieß Rose Morely und hatte als
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