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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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wie Töne, die er nicht zu einer Melodie verknüpfen konnte.
    Er gelangte zu seinem Haus am Draycott Place. Er stieß die Tür auf und watete durch die ungeöffnete Post mehrerer Tage in sein dunkles Wohnzimmer. Er überlegte, ob er Alice Simpson zum Abendessen einladen solle, kam aber zu dem Schluß, daß er nicht die Kraft für eine höfliche Unterhaltung hatte. Er ließ sich ein Bad einlaufen, entspannte sich im heißen Wasser und lauschte sentimentaler Musik aus dem Radio. Er trank ein Glas Whisky und las Zeitung. Seit er beim Geheimdienst arbeitete, glaubte er der Presse kein Wort mehr. Dann klingelte das Telefon. Es mußte das Büro sein, niemand sonst machte sich noch die Mühe, ihn anzurufen. Er stemmte sich aus der Wanne und warf sich einen Morgenmantel über. Das Telefon stand im Arbeitszimmer. Er nahm den Hörer und sagte: »Ja, Harry?«
    »Ihr Gespräch mit Becker brachte mich auf eine Idee«, sagte Harry ohne Vorrede. Wasser tropfte von Vicarys Arm auf die Papiere, die auf dem Schreibtisch verstreut lagen. Er hatte der Putzfrau streng verboten, das Arbeitszimmer zu betreten, und so blieb in der sonst sterilen und blitzsauberen Wohnung hier eine Insel akademischer Unordnung erhalten.
    »Anna Steiner lebte Anfang der zwanziger Jahre mit ihrem Vater, dem Diplomaten, zwei Jahre lang in London. Reiche ausländische Diplomaten haben Bedienstete - Butler, Köche, Hausmädchen.«
    »Richtig, Harry. Hoffentlich bringt uns das weiter.«
    »Vor drei Tagen habe ich bei allen Stellenvermittlungen in der Stadt nachgefragt und versucht, die Namen der Leute herauszufinden, die bei den Steiners gearbeitet haben.«
    »Gute Idee, Harry.«
    »Ein paar habe ich herausgekriegt. Die meisten sind tot, die anderen steinalt. Nur ein Name ist vielversprechend: Rose Morely. In jungen Jahren war sie als Köchin im Haus der Steiners. Heute habe ich herausgefunden, daß sie für Commander Higgins vom Marineministerium arbeitet, in seinem Haus in Marylebone.«
    »Gute Arbeit, Harry. Reden Sie gleich morgen früh mit ihr.«
    »Das wollte ich auch, aber jemand hat ihr ins Auge geschossen und ihre Leiche mitten im Hyde Park liege ngelassen.«
    »In fünf Minuten bin ich angezogen.«
    »Vor Ihrem Haus wartet ein Wagen auf Sie.«
    Fünf Minuten später trat Vicary ins Freie und schloß die Tür hinter sich. In dem Moment fiel ihm ein, daß er die Verabredung mit Helen vollkommen vergessen hatte.
    Am Steuer des Wagens saß eine junge attraktive Marinehelferin, die während der kurzen Fahrt keinen Ton sagte.
    Sie fuhr ihn so nahe wie möglich an den Tatort heran und hielt in etwa zweihundert Meter Entfernung am Fuß einer sanften Steigung. Es hatte wieder zu regnen begonnen, und er lieh sich ihren Schirm.
    Er stieg aus und schloß sachte die Tür, als gehe er zu einer Beerdigung auf den Friedhof. Vor ihm hüpften mehrere lange weiße Lichtstrahlen auf und ab wie kleine Suchscheinwerfer, die einen Heinkel-Bomber am Nachthimmel zu erfassen versuchten.
    Einer der Strahlen blieb an ihm hängen, als er näherkam, und er mußte seine Augen vor dem grellen Schein schützen. Der Weg war weiter, als er erwartet hatte. Die sanfte Steigung entpuppte sich als kleiner Hügel. Das hohe Gras war sehr feucht, und bald waren seine Hosenbeine bis zu den Knien klatschnaß. Die Strahlen der Taschenlampen senkten sich wie Schwerter, als er bei ihnen anlangte. Ein Detective Chief Superintendent Soundso nahm ihn sanft am Arm und ging mit ihm den Rest der Strecke.
    Er war vernünftig genug, Vicarys Namen nicht auszusprechen.
    Über der Toten war eilends eine Plane ausgebreitet worden.

    Regenwasser sammelte sich in der Mitte und ergoß sich über den Rand wie ein kleiner Wasserfall. Harry kauerte gerade neben dem zerschmetterten Schädel. Harry in seinem Element, dachte Vicary. Er wirkte so ruhig und gelassen, als könne ihm diese unerfreuliche Tätigkeit nichts anhaben. Vicary nahm die Örtlichkeit in Augenschein. Die Frau war nach hinten gefallen und mit gespreizten Armen und Beinen zu Boden gestürzt, wie ein Kind, das im Schnee einen Engel macht. Der Boden rund um den Kopf war schwarz von Blut. Eine Hand umklammerte noch eine Einkaufstasche aus Stoff, und Vicary sah, daß sie Gemüsekonserven und eine Tüte vom Metzger enthielt. Blut sickerte durch das Papier. Der Inhalt der Handtasche lag zu ihren Füßen verstreut. Vicary entdeckte kein Geld unter den Sachen.
    Harry bemerkte Vicary und trat zu ihm. Eine Zeitlang standen sie wortlos nebeneinander, wie Trauernde

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