Double Cross. Falsches Spiel
weiß der Feind, daß wir diese Häfen hartnäckig verteidigen. Ein Frontalangriff auf einen von ihnen wäre mit hohen Verlusten verbunden.«
Vogel sah, daß Hitler ungeduldig wurde. Er zwang sich zu größerer Eile.
»An der Küste der Normandie gibt es zahlreiche kleine Fischerhäfen, aber keiner ist groß genug für die erforderlichen Mengen an Nachschub und schwerem Gerät. Nicht einmal der Hafen von Cherbourg wäre groß genug. Erinnern wir uns, er ist dafür vorgesehen, Passagiere der Überseedampfer abzufertigen, und nicht dafür, Ladungen zu löschen.«
»Kommen Sie zur Sache, Kapitän Vogel«, sagte Hitler mit gereizter Stimme.
»Mein Führer, was, wenn der Feind Nachschub und Gerät an offenen Stränden an Land bringt, und nicht in einem Hafen?
Wenn das tatsächlich möglich wäre, könnte er unsere stärksten Verteidigungsanlagen umgehen, an weniger gut geschützten Stränden landen und versuchen, seine Invasionstruppen über einen künstlichen Hafen zu versorgen.«
Hitlers Augenlider zuckten. Er war von Vogels Analyse sichtlich beeindruckt.
Feldmarschall Erwin Rommel schüttelte den Kopf. »Ein solches Vorhaben würde unweigerlich in einem Fiasko enden, Kapitän Vogel. Selbst im Frühling ist das Wetter an der Kanalküste unberechenbar - Regen, Stürme, schwere See. Mein Stab hat sich die meteorologischen Aufzeichnungen der letzten Jahre angesehen. Danach kann der Feind Schönwetterperioden von bestenfalls drei bis vier Tagen erwarten. Wenn er versucht, seine Truppen an den Stränden abzusetzen, ohne Hafen und Molen, macht er sich völlig von den Launen der Natur abhängig.
Und keine transportable Vorrichtung, so genial sie auch konstruiert sein mag, wird einen Frühjahrssturm im Ärmelkanal
überstehen.«
Hitler schaltete sich ein. »Eine faszinierende Diskussion, meine Herren. Doch genug jetzt. Offensichtlich muß Ihr Agent noch mehr über das Unternehmen herausfinden, Kapitän Vogel.
Ich nehme doch an, daß er noch vor Ort ist?«
»Es gibt da ein Problem, mein Führer«, antwortete Vogel vorsichtig. »Der Agent hat das Gefühl, daß ihm die britischen Sicherheitskräfte auf die Spur gekommen sind und daß er in England gefährdet ist.«
Walter Schellenberg ergriff erstmals das Wort. »Kapitän Vogel, aus unserer eigenen Quelle in London verlautet das genaue Gegenteil. Danach wissen die Briten zwar, daß es eine undichte Stelle gibt, sind aber nicht in der Lage, sie zu stopfen.
Diese Gefährdung existiert nur in der Vorstellung Ihres Agenten.«
Du arrogantes Arschloch, dachte Vogel. Wer ist denn diese sagenhafte Quelle des SD in London? Er sagte: »Der fragliche Agent ist hervorragend geschult und außergewöhnlich intelligent. Ich glaube, daß...«
Himmler fiel ihm ins Wort. »Sie wollen doch sicherlich nicht behaupten, daß Brigadeführer Schellenbergs Quelle weniger glaubwürdig ist als Ihre, Kapitän Vogel.«
»Mit Verlaub, Herr Reichsführer, ich kann die Glaubwürdigkeit der Quelle des Brigadeführers nicht beurteilen.«
»Eine sehr diplomatische Antwort, Herr Kapitän«, sagte Himmler. »Aber Ihr Agent sollte doch auf jeden Fall so lange in London bleiben, bis er die Wahrheit herausgefunden hat, meinen Sie nicht auch, Kapitän Vogel?«
Vogel saß in der Falle. Himmler widersprechen hieße sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen. Er konnte ihn mit gefälschten Beweisen des Hochverrats bezichtigen und aufhängen lassen wie all die anderen. Er dachte an Gertrude und die Kinder. Diese Barbaren würden sich an ihnen vergreifen. Er vertraute auf Annas Gespür, aber sie jetzt herauszuholen wäre glatter Selbstmord. Er hatte keine andere Wahl. Sie mußte in London bleiben.
»Doch. Ich stimme Ihnen zu, Herr Reichsführer.«
Himmler lud Vogel zu einem Spaziergang auf dem Gelände ein. Die Nacht war bereits hereingebrochen. Der Wald hinter den Bogenlampen lag in tiefer Dunkelheit. Ein Schild warnte davor, den Weg zu verlassen, wegen Minen.
Die Wipfel der Nadelbäume bogen sich im Wind. Vogel hörte einen Hund bellen. Es war schwer zu sagen, aus welcher Entfernung das Bellen kam, denn der Neuschnee dämpfte alle Geräusche. Es war schneidend kalt. Bei der Besprechung hatte er unter dem Uniformrock heftig geschwitzt. Jetzt, in der Kälte, hatte er das Gefühl, als seien ihm die Kleider am Leib festgefroren. Er sehnte sich nach einer Zigarette, wollte aber nicht Gefahr laufen, Himmler ein zweites Mal an diesem Tag zu brüskieren. Himmlers Stimme war, als er endlich zu sprechen begann,
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