Double Cross. Falsches Spiel
habe auf etwas anderes Appetit, und zwar sofort.
Er hörte, wie sie sich küßten. Er lauschte auf einen falschen Unterton in ihrer Stimme. Er hatte ein Team von Beamten ins Haus gegenüber beordert, nur für den Fall, daß etwas schiefging und daß er Catherine Blake verhaften mußte. Er hörte, wie sie ihm sagte, daß sie ihn liebe, und er mußte an Helen denken. Sie hatten aufgehört zu reden. Er hörte Gläser klingen, Wasser laufen, Schritte auf der Treppe. Stille, als sie durch einen Teil des Hauses kamen, in dem keine Mikrofone installiert waren.
Dann Jordans Bett, das unter dem Gewicht ihrer Leiber quietschte. Das Rascheln von Kleidern, die ausgezoge n wurden.
Flüstern. Vicary hatte genug gehört. Er wandte sich an Harry.
»Ich gehe nach oben«, sagte er. »Holen Sie mich, wenn sie sich an die Arbeit macht.«
Clive Roach hörte es als erster, dann Ginger Bradshaw. Harry war auf der Couch eingeschlafen, und seine langen Beine baumelten über der Armlehne. Roach streckte die Hand aus und schlug gegen seine Schuhsohle. Erschreckt setzte sich Harry auf und lauschte ein paar Sekunden. Er stürmte die Treppe hinauf und rannte fast die Tür zur Bibliothek ein. Vicary, der sein Feldbett aus dem Kriegsministerium mitgebracht hatte, schlief wie gewöhnlich unter der brennenden Lampe. Harry rüttelte ihn an der Schulter. Vicary fuhr hoch und blickte auf seine Uhr: 2.45 Uhr. Er folgte Harry wortlos die Treppe hinunter in den Konferenzraum. Vicary hatte mit erbeuteten deutschen Kameras experimentiert und erkannte das Geräusch sofort. Catherine Blake war in Jordans Arbeitszimmer und fotografierte den ersten Schub des Kesselpauke-Materials. Nach einer Minute hörte das Klicken auf. Vicary hörte, wie Papier glattgestrichen und die Tür des Safes geschlossen wurde. Dann, wie sie das Licht ausknipste und die Treppe hinaufging.
40
London
»Wenn das nicht der Mann der Stunde ist«, tönte Boothby und öffnete schwungvoll die hintere Tür seines Humber. »Steigen Sie ein, Alfred, bevor Sie da draußen erfrieren. Ich komme gerade vom Zwanziger-Komitee. Überflüssig zu sagen, daß sie begeistert sind. Sie haben mich gebeten, Ihnen ihre Glückwünsche zu übermitteln, Alfred.«
»Danke«, sagte Vicary und dachte: Wann hat Boothby die Zeit gefunden, das Komitee zu informieren? Es war noch nicht einmal sieben Uhr in der Frühe. Ein kalter Regen ging nieder, und die winterliche Dämmerung lag wie ein grauer Schleier über London. Der Wagen löste sich vom Bordstein und fuhr die stille, glänzende Straße entlang. Vicary rutschte tief in den Sitz, legte den Kopf zurück und schloß die Augen, nur für einen Moment.
Er war völlig erschöpft. Eine bleierne Müdigkeit kam über ihn, drückte zentnerschwer auf seine Brust und preßte seinen Kopf zusammen wie ein Schraubstock. Er hatte wieder nicht geschlafen, nicht nachdem er gehört hatte, wie Catherine Blake das gefälschte Material fotografierte. Was hatte ihn wach gehalten? Die Aufregung darüber, daß er den Feind auf so raffinierte Weise täuschte? Oder der Ekel davor, wie es geschah?
Vicary öffnete die Augen. Sie fuhren nach Osten - durch das trübe Belgravia, dann zum Hyde Park Corner und von der Park Lane zur Bayswater Road. Die Straßen waren leer, hier und da ein Taxi, vereinzelte Lastwagen, einsame Fußgänger, die wie verängstigte Überlebende einer Seuche die Gehwege entlangeilten.
Vicary schloß die Augen wieder und sagte: »Was wollen Sie von mir?«
»Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen sagte, daß das Zwanziger-Komitee eventuell auc h auf andere Double-Cross-Agenten zurückgreifen will, um Kesselpauke für Berlin noch glaubwürdiger zu machen?«
»Ich erinnere mich«, antwortete Vicary. Er erinnerte sich auch, daß er sich über das Tempo gewundert hatte, mit dem diese Entscheidung getroffen worden war. Das Zwanziger-Komitee war berüchtigt für seine bürokratischen Grabenkriege.
Jede Double-Cross-Nachricht mußte vom Komitee abgesegnet werden, bevor sie über einen umgedrehten deutschen Agenten den Deutschen zugespielt wurde. Vicary mußte manchmal Tage warten, bis das Komitee eine gefälschte Nachricht für seinen Becker-Ring genehmigte. Warum ging es diesmal so zügig?
Er war zu müde, um nach einer Antwort zu suchen. »Wohin fahren wir eigentlich?«
»Richtung Osten, nach Hoxton, um genau zu sein.«
Vicary öffnete die Augen einen Spalt, dann schloß er sie wieder. »Warum fahren wir dann auf der Bayswater Road nach Westen?«
»Um
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