Double Cross. Falsches Spiel
in der Sonne. Jetzt verstehe ich, dachte Vogel, warum er uns den weiten Weg aus Berlin hierher schleppt. Der Raum war etwa fünfzehn auf zwanzig Meter groß, und als Vogel die Sitzgruppe vor dem Kamin erreichte, war ihm leicht schwindelig von der Höhe. Er ließ sich in die Ecke eines niedrigen Polstersofas sinken und sah sich um. An den Wänden hingen riesige Ölgemälde und Gobelins. Plastiken standen im Raum verteilt. Ein Diener goß für die vier Männer Kaffee und für den Führer Tee ein. Einen Augenblick später flog die Tür auf, und Adolf Hitler stapfte in den Raum. Wie gewöhnlich war Canaris der letzte, der sich erhob. Hitler bedeutete ihnen, wieder Platz zu nehmen, blieb selbst aber stehen.
»Kapitän Vogel«, sagte er ohne Vorrede, »wie ich höre, hat Ihr Agent in London wieder ein Bravourstück vollbracht.«
»Wir nehmen es jedenfalls an, mein Führer.«
»Bitte, spannen Sie uns nicht länger auf die Folter.« Vogel öffnete unter den wachsamen Blicken eines SS-Mannes seine Aktentasche. »Unser Agent hat erneut ein bemerkenswertes Dokument gestohlen. Es liefert uns weitere Hinweise darauf, worum es bei der Operation Mulberry geht.« Vogel zögerte.
»Wir können nun mit größerer Bestimmtheit sagen, welche Rolle Mulberry bei der Invasion spielen wird.«
Hitler nickte. »Bitte, fahren Sie fort, Kapitän Vogel.«
»Die neuen Dokumente lassen darauf schließen, daß sich hinter der Operation Mulberry ein riesiger Flugabwehrkomplex verbirgt. Der Feind wird ihn in den kritischen ersten Stunden der Invasion an der französischen Küste in Stellung bringen, um seine Truppen vor unserer Luftwaffe zu schützen.« Wieder faßte Vogel in seine Tasche. »Unsere Analytiker haben anhand der in dem Feinddokument enthaltenen Pläne eine Skizze des Komplexes angefertigt.« Vogel legte sie auf den Tisch.
Schellenberg und Himmler studierten sie interessiert.
Hitler war ans Fenster getreten und blickte hinaus auf die Berge. »Und wo wird der Feind diesen Flugabwehrkomplex Ihrer Meinung nach in Stellung bringen, Kapitän Vogel?«
»Die Pläne, die unser Agent gestohlen hat, geben darüber keine nähere Auskunft«, antwortete Vogel. »Aber zusammen mit den anderen von der Abwehr gesammelten Informationen legen sie den Schluß nahe, daß Mulberry für Calais bestimmt ist.«
»Und was ist mit Ihrer früheren Theorie, mit dem künstlichen Hafen in der Normandie?« fragte Hitler, immer noch auf die Berge starrend. Er war seit jeher der Überzeugung, daß er hier oben auf dem Berghof, wo er über allem thronte, am besten nachdenken konnte.
»Sie war...« Vogel zögerte und suchte nach dem richtigen Wort. »...voreilig, mein Führer. Ich habe vorschnelle Schlüsse gezogen. Ich habe ein Urteil gefällt, bevor alle Beweise vorlagen. Verzeihen Sie mir den Vergleich, mein Führer, ich bin von Haus aus Jurist.«
»Nein, Kapitän Vogel. Ich glaube, daß Sie beim ersten Mal recht hatten. Ich glaube, daß Mulberry in der Tat ein künstlicher Hafen ist. Und ich bin davon überzeugt, daß er für die Normandie bestimmt ist.« Hitler fuhr herum und wandte sich seinen Zuhörern zu. »Das sieht Churchill ähnlich, diesem Verrückten! Ein ehrgeiziges, närrisches Bauprojekt, das seine Absichten verrät, weil es uns sagt, wo er und seine amerikanischen Freunde angreifen wollen! Der Mann hält sich für einen großen Denker, einen großen Strategen. Aber in militärischen Fragen ist er ein Dummkopf. Denken Sie nur an das Blutbad auf den Dardanellen. Nein, Kapitän Vogel, Sie hatten beim ersten Mal recht. Es ist ein künstlicher Hafen, und er ist für die Normandie bestimmt. Ich weiß es - hier.« Hitler schlug sich an die Brust. »Sie halten das Geheimnis der Invasion in der Hand, Kapitän Vogel. Sie haben nur nicht mehr den Mut, dazu zu stehen. Es ist die Normandie. Ich weiß das wie nichts sonst. Es ist die Normandie.«
Walter Schellenberg räusperte sich. »Mein Führer, wir haben andere Erkenntnisse, die Kapitän Vogels Theorie stützen.«
»Lassen Sie hören.«
»Vor zwei Tagen habe ich mit einem unserer Agenten in England gesprochen.«
Mein Gott, dachte Vogel, jetzt geht das wieder los.
Schellenberg fischte ein Dokument aus seiner Aktentasche.
Vogel bemerkte, daß die SS-Leibwächter nicht mit der Wimper zuckten.
»Es handelt sich um den Bericht eines MI5-Offiziers namens Alfred Vicary. Er wurde von jemandem mit den Initialen BB abgesegnet und an Churchill und Eisenhower weitergeleitet.
Vicary warnt darin vor einer
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