Double Cross. Falsches Spiel
Manchmal dachte er, es wäre leichter, ihr von Anna zu erzählen, als ihr zu eröffnen, daß er einer der wichtigsten Spione Adolf Hitlers war.
Er verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf. Er sah Canaris an, der seine Hunde gerade mit Keksen fütterte, dann wandte er sich wieder ab. War das wirklich möglich? Der Mann, der ihn der Juristerei entrissen und zum Topspion der Abwehr gemacht hatte, ein Verräter? Gewiß, Canaris machte aus seiner Verachtung für die Nazis keinen Hehl - seine hartnäckige Weigerung, der NSDAP beizutreten, seine ständigen sarkastischen Bemerkungen über den Führer. Aber ging diese Verachtung so weit, daß er zum Verräter geworden war? Vogel konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Wenn Canaris tatsächlich ein Verräter war, so hatte das für die Agentennetze der Abwehr in Großbritannien verheerende Folgen. Canaris war in der Lage, alles zu verraten. Vogel dachte: Wenn Canaris ein Verräter ist, warum funktionieren die meisten Agentenringe der Abwehr in England dann immer noch? Das ergab keinen Sinn. Hätte Canaris die Agentenringe verraten, hätten die Briten sie über Nacht ausgehoben. Allein die Tatsache, daß die Mehrheit der deutschen Agenten in England nach wie vor ihren Auftrag erfüllte, bewies, daß Canaris kein Verräter war.
Vogels eigenes Netz war theoretisch gegen Verrat gefeit. Wie vereinbart, erfuhr Canaris nur äußerst vage Details über die V-Kette. Vogels Agenten kamen nicht mit anderen Agenten in Kontakt. Sie hatten eigene Codes, eigene Treffs, eigene Geldquellen. Und Vogel hielt sich von Hamburg fern, der Führungszentrale der englischen Netze. Er erinnerte sich an einige Idioten, die Canaris und die anderen Führungsoffiziere nach England geschickt hatten, insbesondere im Sommer 1940, als die Invasion unmittelbar bevorzustehen schien und Canaris alle Vorsicht außer acht ließ. Seine Agenten waren schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet. Vogel wußte, daß einige nur zweihundert Pfund - ein Taschengeld - erhalten hatten, weil die Abwehr und der Generalstab überzeugt waren, daß man Großbritannien wie Polen und Frankreich in wenigen Wochen überrennen könne. Die meisten Agenten waren Schwachköpfe wie dieser Karl Becker - ein Perverser, der nur aus Abenteuerlust und Geldgier Spion geworden war. Vogel fragte sich, wie es dieser Idiot geschafft hatte, einer Verhaftung zu entgehen. Vogel mochte Abenteurer nicht. Er mißtraute jedem, der hinter den feindlichen Linien als Spion operieren wollte, nur ein Narr konnte das tatsächlich wollen. Und Narren waren schlechte Agenten. Vogel wollte nur Leute, die über die Eigenschaften und die Intelligenz verfugten, die ein guter Spion brauchte. Für alles andere - Motivation, handwerkliches Können, die Bereitschaft, im Notfall Gewalt anzuwenden - konnte er sorgen.
Die Außentemperatur fiel um mehrere Grade, als sie den Kehlstein hinauffuhren. Der Motor des Wagens quälte sich, und hier und dort drehten die Räder auf der vereisten Fahrbahn durch. Vogel war nie zuvor auf dem Berghof gewesen und wußte wenig darüber - nur daß der Führer ihn 1929 mit dem Erlös seines Buches Mein Kampf gekauft hatte und immer, wenn er sich freimachen konnte, herkam.
Die Wagen hielten vor zwei riesigen Stahltüren. Zwei SS-Männer führten eine rasche Kontrolle durch. Das Tor ging auf, und sie fuhren durch einen hellerleuchteten Tunnel in eine Tiefgarage. Der berühmte Aufzug des Führers erwartete sie. Er glich eher einem kleinen Hotelzimmer mit Plüschteppich, bequemen Sesseln und einer Reihe von Telefonen. Vogel und Canaris betraten ihn als erste. Canaris nahm Platz und zündete sich sofort eine Zigarette an, so daß der Aufzug voller Rauch war, als Himmler und Schellenberg eintrafen. Die vier Männer saßen schweigend da, und jeder starrte vor sich hin, während der Aufzug sie zum Obersalzberg hinauftrug. Himmler, wütend über den Tabakqualm, hielt sich die behandschuhte Hand vor den Mund und hüstelte.
Vogel betrachtete die Männer, die mit ihm nach oben fuhren, die drei mächtigsten Geheimdienstoffiziere des Dritten Reiches - ein Hühnerfarmer, ein Perverser und ein pingeliger kleiner Admiral, der möglicherweise ein Verräter war. In den Händen dieser Männer lag Deutschlands Zukunft.
Vogel dachte: Gott stehe uns bei.
Normalerweise hatte Kurt Vogel für landschaftliche Schönheit nichts übrig. Aber der weite Blick aus dem Wohnzimmer von Hitlers Berghof raubte ihm den Atem. Die schneebedeckten Gip fel der Alpen glitzerten
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