Double Cross. Falsches Spiel
verlassen, Harry. Und je länger wir sie beschatten, desto größer wird die Gefahr, daß sie etwas merkt. Wenn sie merkt, daß sie beschattet wird...«
»...können wir uns begraben«, beendete Harry Vicarys angefangenen Satz.
»Richtig, Harry. Dann können wir uns begraben.«
Vicary gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund.
»Haben Sie mit Grace gesprochen?«
»Ja. Sie hat in allen erdenklichen Karteien nach den Namen gesucht. Es ist nichts dabei herausgekommen.«
»Und was ist mit Broome?«
»Dasselbe. Es ist kein Deckname für eine Operation oder einen Agenten.«
Harry sah Vicary lange an. »Würden Sie mir erklären, warum Sie Grace gebeten haben, diese Namen zu überprüfen?«
Vicary schaute auf und sah Harry in die Augen. »Wenn ich Ihnen das sage, bringen Sie mich in die Klapsmühle. Es ist nichts, ich habe nur Gespenster gesehen.« Er blickte auf seine Armbanduhr und gähnte erneut. »Ich muß Boothby informieren und die nächste Lieferung Kesselpauke-Material abholen.«
»Wir machen also weiter?«
»Solange Boothby nichts anderes sagt, machen wir weiter.«
»Was ist für heute abend geplant?«
Vicary stand auf und zog seinen Regenmantel an. »Ich dachte mir, ein Abendessen und Tanzen im Four Hundred Club wäre mal eine nette Abwechslung. Ich brauche jemanden, der sie da drinnen im Auge behält. Fragen Sie doch Grace, ob sie Sie begleitet. Machen Sie sich auf Kosten des Departments einen schönen Abend.«
42
Berchtesgaden
»Mir wäre wohler, wenn wir die Scheißkerle vor und nicht hinter uns hätten«, sagte Wilhelm Canaris. Vogel saß neben ihm auf dem Rücksitz des Mercedes, mit dem sie durch Berchtesgaden fuhren. Heinrich Himmler und Walter Schellenberg saßen in dem Wagen hinter ihnen. Schnee rieselte auf die malerische kleine Ortschaft. Der Anblick erinnerte den mißmutigen Vogel an eine kitschige Postkarte: Komm ins schöne Berchtesgaden, zum Berghof des Führers. Es verdroß ihn, daß er sich in einem so kritischen Moment so weit vom Tirpitz-Ufer entfernen mußte. Warum konnte Hitler nicht wie alle anderen in Berlin bleiben? Entweder verkroch er sich in seiner Wolfsschanze bei Rastenburg oder in seinem Adlerhorst in Bayern.
Vogel hatte beschlossen, das Beste aus der Dienstreise zu machen, und so hatte er sich vorgenommen, Gertrude und die Mädchen zu besuchen und mit ihnen den Abend zu verbringen.
Sie wohnten bei Gertrudes Mutter in einem Dorf, das zwei Autostunden von Berchtesgaden entfernt lag. Er hörte noch die Aufregung in Trudes Stimme, als er sie aus Berlin angerufen und seinen Besuch angekündigt hatte. Mein Gott, wann hatte er sie zum letzten Mal gesehen? Einen Tag an Weihnachten, davor zwei Tage im Oktober. Sie hatte ihm Schweinebraten und Knödel zum Abendessen versprochen. Und mit ihrer aufregenden Stimme hatte sie gesagt, daß sie, sobald die Kinder und ihre Eltern im Bett seien, vor dem Kamin wunderbare Dinge mit ihm vorhabe. Trudes sexuelle Vorlieben hatten sich seit ihrer Leipziger Studentenzeit nicht verändert - am liebsten machte sie es an einem unsicheren Platz, wo sie überrascht werden konnten, wie etwa auf dem Fußboden im Haus ihrer Eltern. Das erregte sie besonders, wie schon vor fünfzehn Jahren, als sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.
Vogel selbst empfand diese Erregung nicht mehr. Daran war sie schuld. Und sie hatte es absichtlich getan, als Strafe dafür, daß er sie nach England schickte.
Sieh mich an und erinnere dich daran, wenn du das nächste Mal mit deiner Frau zusammen bist.
Mein Gott, dachte Vogel, warum fällt mir das ausgerechnet jetzt wieder ein? Es war ihm gelungen, seine Gefühle vor Gertrude zu verbergen, so wie er ihr auch alles andere verheimlicht hatte. Er war kein geborener Lügner, aber inzwischen war er ein ziemlich guter geworden. Gertrude glaubte immer noch, er arbeite als Anwalt für Canaris und berate ihn in finanziellen und juristischen Angelegenheiten. Sie hatte keine Ahnung, daß er das geheimste Agentennetz der Abwehr in Großbritannien führte, ein Netz, das seine Initiale im Namen trug: V-Kette. Gertrude dachte, er erledige in Bayern für Canaris irgendeinen banalen Auftrag, während er in Wahrheit auf den Kehlstein fuhr, um den Führer über die feindlichen Invasionspläne in Frankreich zu informieren. Vogel fürchtete, daß sie ihn verlassen würde, wenn sie die Wahrheit erführe. Ihre Empörung darüber, so lange getäuscht worden zu sein, wäre so groß, daß sie ihm nie wieder vertrauen würde.
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