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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Hamburg gefunkt wurden. War so etwas denkbar? Es wäre ein gigantisches und riskantes Unternehmen, aber Vogel hielt es letztlich dennoch für möglich.
    Das Konzept war brillant, doch Vogel entdeckte sofort den entscheidenden Schwachpunkt. Es erforderte die totale Manipulation aller deutschen Agentennetze in Großbritannien.
    Jeder einzelne Agent mußte enttarnt, umgedreht oder eingesperrt werden, damit er keinen Schaden anrichten konnte. Wenn dem MI5 auch nur ein einziger durch die Maschen schlüpfte, könnte er widersprüchliche Berichte schicken, und die Abwehr würde den Braten riechen. Aus den Berichten ihres einzigen echten Agenten könnte sie folgern, daß das gesamte andere nachrichtendienstliche Material, das sie erhielt, gefälscht war.
    Und wenn dieses Material darauf hindeutete, daß die Invasion bei Calais geplant sei, so konnte die Abwehr davon ausgehen, daß das Gegenteil stimmte - daß der Feind in der Normandie angreifen wollte.
    Vogel würde bald die Antwort erfahren. Wenn Neumann feststellte, daß Catherine observiert wurde, so war das Material, das sie schickte, vom britischen Geheimdienst gefälscht - Teil des Täuschungsmanövers.
    Er wandte sich vom Fenster ab und legte sich wieder auf das Feldbett. Ein Schauder befiel ihn. Möglicherweise hielt er bald den Beweis in Händen, daß der britische Geheimdienst eine gigantische Täuschungsoperation durchführte.
    Aber was, wenn er den Beweis tatsächlich bekam? Die Wehrmacht könnte den Feind mit ihren Panzern am Hauptangriffspunkt erwarten. Sie würde unter den alliierten Truppen ein Blutbad anrichten. Deutschland würde den Krieg gewinnen, und die Herrschaft der Nazis in Deutschland und Europa wäre auf Jahrzehnte hinaus gefestigt.
    In Deutschland gibt es kein Recht mehr, Trude. Es gibt nur noch Hitler.
    Vogel schloß die Augen und versuchte zu schlafen, aber er kam nicht zur Ruhe. Die unvereinbaren Seiten seiner Persönlichkeit rangen miteinander: Vogel, der Meisterspion und Manipulator, und Vogel, der Anhänger des Rechtsstaats. Der Gedanke war verlockend, ein gigantisches britisches Täuschungsmanöver aufzudecken, seine Gegenspieler zu
    überlisten und ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Gleichzeitig erschrak er vor den Folgen eines solchen Triumphs. Er würde seinen alten Freund Canaris ans Messer liefern, Deutschland im Krieg zum Sieg verhelfen und damit die Herrschaft der Nazis zementieren.
    Er lag wach auf seiner Pritsche und lauschte dem Dröhnen der Bomber.
    Sag mir, daß du nicht für ihn arbeitest.
    Jetzt tue ich es, Trude, dachte Vogel. Jetzt tue ich es.

46
    London

    »Guten Tag, Alfred.«
    »Guten Tag, Helen.«
    Sie lächelte und küßte ihn auf die Wange. »Es ist schön, dich wiederzusehen.«
    »Ja. Ich freue mich auch.«
    Sie hakte sich bei ihm unter und schob ihre Hand in seine Manteltasche, so wie sie es immer getan hatte. Sie schlenderten eine Weile schweigend den Fußweg im St. James's Park entlang.
    Vicary empfand das Schweigen nicht als peinlich. Im Gegenteil, er genoß es sogar. Damals, vor vielen Jahren, hatte er nicht zuletzt deshalb gewußt, daß er sie wirklich liebte, weil sie auch gut zusammen schweigen konnten. Wortlos hatten sie oft auf der Veranda ihres Hauses gesessen, waren durch den Wald gestreift oder hatten am See gelegen. Es hatte ihm genügt, sie neben sich zu haben oder ihre Hand zu halten.
    Die Mittagsluft war feucht und warm, ein Hauch von August im Februar. Dunkle Wolken türmten sich am Himmel. Der Wind rauschte in den Bäumen und kräuselte die Oberfläche des Teichs. Enten schaukelten auf dem Wasser wie eine kleine Flotte, die vor Anker liegt.
    Zum ersten Mal betrachtete er sie genauer. Sie war älter geworden, aber nicht zu ihrem Nachteil. Sie war groß und hielt sich gerade, und die wenigen Pfunde, die sie im Lauf der Jahre zugenommen hatte, verbarg sie dezent unter ihrem tadellos sitzenden Kostüm. Das blonde Haar, das ihr früher offen über den Rücken gefallen war, hatte sie sorgfältig aufgesteckt, und auf ihrem Kopf saß ein kleiner grauer Damenhut.
    Vicary gestattete sich eine gründliche Musterung ihres Gesichts. Ihre Nase, einst zu lang und aristokratisch, schien ihm nun gerade richtig. Ihr Gesicht war etwas schmaler geworden, so daß die Wangenknochen jetzt stärker hervortraten. Als sie bemerkte, daß Vicary sie betrachtete, lächelte sie, aber das Lächeln ergriff ihre Augen nicht. In ihrem Blick lag eine vage Traurigkeit, als sei kürzlich jemand gestorben, der ihr

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