Double Cross. Falsches Spiel
Variante eines Codes verschlüsselt worden, den er selbst 1940 geknackt hatte.
»Meine Güte, wie wenig originell«, sagte Saunders, ohne sich an jemanden Bestimmten zu wenden.
Sein Vorgesetzter war ein Schotte namens Richardson.
Saunders klopfte an seine Tür, trat ein und legte die entschlüsselten Funksprüche auf den Tisch. Richardson las sie und runzelte die Stirn. Erst gestern hatte ihn ein Offizier vom Ml5 namens Vicary ausdrücklich vor solchen Botschaften gewarnt.
Richardson ließ einen Motorradkurier kommen.
»Da ist noch etwas anderes«, sagte Saunders.
»Ja?«
»Es betrifft die erste Nachricht. Der Agent hatte anscheinend Mühe mit den Morsezeichen. Er hat den Funker gebeten, die Nachricht zu wiederholen. So etwas mögen sie nicht. Es muß nichts bedeuten, möglicherweise ist nur eine Störung aufgetreten. Aber es wäre vielleicht ratsam, die Jungs vom MI5 darüber zu informieren.«
Eine gute Idee, dachte Richardson.
Als Saunders gegangen war, schrieb er eine kurze Aktennotiz, in der er darauf hinwies, daß der Agent anscheinend Probleme mit dem Morsen gehabt habe. Fünf Minuten später traten die entschlüsselten Funksprüche und Richardsons Aktennotiz, in einer ledernen Kuriertasche verstaut, die Fahrt ins zweiundvierzig Meilen entfernte London an.
11
Selsey, England: Januar 1944
»Es war das merkwürdigste Ding, das ich je gesehen habe, Mabel«, sagte Arthur Barnes beim Frühstück zu seiner Frau.
Barnes hatte wie jeden Morgen mit seiner geliebten Welsh-Corgi-Hündin Fionna einen Spaziergang am Meer unternommen. Ein Teil der Küste war Zivilisten noch zugänglich, doch der weit größere war abgeriegelt und zur militärischen Sperrzone erklärt worden. Jeder fragte sich, was die Militärs dort trieben. Niemand sprach darüber. An diesem Morgen war es spät hell geworden - graue Wolken bedeckten den Himmel, und von Zeit zu Zeit regnete es. Fionna war nicht angeleint und tollte über die Piers.
Fionna entdeckte das Ding vor Barnes.
»Ein riesiger Betonklotz, Mabel. Sah aus wie ein Häuserblock, der auf die Seite gekippt ist.« Zwei Schlepper zogen es aufs Meer hinaus. Barnes trug in der Manteltasche ein Fernglas bei sich - ein Freund hatte einmal den Kommandoturm eines deutschen U-Boots erspäht, und Barnes brannte darauf, selbst einen zu Gesicht zu bekommen. Er zog das Fernglas aus der Tasche und hob es an die Augen.
Neben dem Betonklotz durchpflügte ein Schiff mit einem breiten flachen Bug die kabbelige See. Barnes schwenkte das Glas zur Backbordseite - »stell dir vor, die Backbordseite war kaum von der Steuerbordseite zu unterscheiden« -, und dann entdeckte er noch einen kleinen Kahn mit einer Gruppe Militärs an Deck.
»Ich habe meinen Augen nicht getraut«, erzählte er, während er seinen letzten Toast verzehrte. »Sie klatschten und jubelten und klopften sich gegenseitig auf die Schulter.« Er schüttelte den Kopf. »Ist das zu fassen? Hitler reißt sich die halbe Welt unter den Nagel, und unsere Jungs geraten aus dem Häuschen, weil sie einen Betonklotz zum Schwimmen bringen.«
Der schwimmende Betonklotz, den Arthur Barnes an diesem trüben Januarmorgen erspähte, trug den Decknamen Phönix. Er war über dreißig Meter lang, siebzehn Meter breit und hatte eine Wasserverdrängung von sechstausend Tonnen. Über zweihundert davon sollten gebaut werden. Ihr Inneres barg - von der Küste aus unsichtbar für Barnes - ein Labyrinth aus hohlen Kammern und Bodenventilen, denn die Phönixe waren nicht dazu bestimmt, lange an der Wasseroberfläche zu schwimmen.
Laut Plan sollten sie über den Ärmelkanal geschleppt und vor der Küste der Normandie versenkt werden. Die Phönixe waren nur ein Teil des ehrgeizigen Vorhabens der Alliierten, in England einen künstlichen Hafen zu bauen und am Tag X nach Frankreich zu transportieren. Der Deckname für das gesamte Projekt lautete Operation Mulberry.
Die Alliierten hatten aus Dieppe ihre Lehren gezogen - aus Dieppe und den amphibischen Landungsunternehmen im Mittelmeer. In Dieppe, Schauplatz eines verheerenden Angriffs der Alliierten auf Frankreich im August 1942, hatten die Deutschen demonstriert, daß ihre Taktik darin bestand, den Alliierten so lange wie möglich den Zugang zu einem Hafen zu verwehren. Im Mittelmeerraum zerstörten sie Häfen, bevor sie sie aufgaben, und machten sie für lange Zeit unbrauchbar. Die Invasionsplaner zogen daraus den Schluß, daß jeder Versuch, einen intakten Hafen zu erobern, aussichtslos war. Sie
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