Double Cross. Falsches Spiel
beschlossen daher, Menschen und Material auf direktem Weg an Land zu bringen - an den Stränden der Normandie.
Das Problem war das Wetter. Aus meteorologischen Langzeitstudien ging hervor, daß an der französischen Küste bestenfalls an vier aufeinanderfolgenden Tagen mit günstigen Bedingungen gerechnet werden durfte. Daher mußten die Planer davon ausgehen, daß der Nachschub höchstwahrscheinlich bei stürmischer See an Land geschafft werden würde.
Im Juli 1943 fuhr Premierminister Winston Churchill mit einer dreihundertköpfigen Delegation auf der Queen Mary nach Kanada. Für August war in Quebec ein Treffen mit Roosevelt geplant, bei dem die Pläne für die Invasion in der Normandie gebilligt werden sollten. Während der Überfahrt gab Professor J. D. Bernal, ein namhafter Physiker, in einem Badezimmer des Luxusdampfers eine eindrucksvolle Demonstration. Er ließ die Wanne mit Wasser halbvoll laufen - die flache Seite stellte die Strände in der Normandie dar, die tiefe Seite die Seinebucht.
Bernal setzte zwanzig Papierschiffchen in die Wanne und benützte eine Bürste, um stürmisches Wetter zu simulieren. Die Schiffe sanken sofort. Dann blies Bernal einen Mae-West-Rettungsgürtel auf und legte ihn als Wellenbrecher quer aufs Wasser. Wieder erzeugte er mit der Bürste einen Sturm, doch diesmal gingen die Schiffe nicht unter. Dasselbe, so erklärte Bernal, würde in der Normandie passieren. Ein Sturm würde verheerende Folgen haben, deshalb benötige man einen künstlichen Hafen.
In Quebec einigten sich Kanadier und Amerikaner darauf, für die Invasion in der Normandie zwei künstliche Häfen zu bauen, von denen jeder die Größe des Hafens von Dover haben sollte.
Der Hafenbau in Dover hatte sieben Jahre in Anspruch genommen, den Briten und Amerikanern blieben kaum acht Monate. Es war ein Vorhaben unvorstellbaren Ausmaßes. Jeder der beiden künstlichen Häfen kostete 96 Millionen Dollar. Die britische Wirtschaft, nach vier Kriegsjahren am Boden, mußte vier Millionen Tonnen Beton und Stahl liefern. Hunderte erstklassige Ingenieure wurden benötigt, dazu Zehntausende ausgebildete Bauarbeiter. Um die Mulberries am Tag X von England nach Frankreich zu schleppen, brauchte man jeden verfügbaren Schlepper in Großbritannien und an der amerikanischen Ostküste.
Ein ebenso schwieriges Unterfangen wie der Bau der Häfen selbst war die Geheimhaltung des gesamten Projektes. Dies verdeutlicht allein schon der Umstand, daß Arthur Barnes und seine Hündin Fionna immer noch am Ufer standen, als das Küstenmotorschiff mit den britischen und amerikanischen Mulberry- Ingenieuren an Deck am Kai anlegte. Die Männer gingen von Bord und bestiegen einen wartenden Bus. Einer löste sich aus der Gruppe und schritt auf ein Stabsfahrzeug zu, das darauf wartete, ihn nach London zurückzubringen. Der Fahrer stieg aus, öffnete zackig den hinteren Wagenschlag, und Commander Peter Jordan stieg ein.
New York: Oktober 1943
Sie kamen an einem Freitag. Er sollte sie immer als Laurel und Hardy in Erinnerung behalten - ein kleiner, dicker Amerikaner, der nach billigem Rasierwasser und Bier und Würstchen roch, und ein hagerer, ruhiger Engländer, der Jordan die Hand reichte, als wolle er seinen Puls fühlen.
In Wirklichkeit hießen sie Leamann und Broome, zumindest stand dies in den Ausweisen, mit denen sie vor seinem Gesicht wedelten. Leamann stellte sich als Mitarbeiter des US-Kriegsministeriums vor, Broome, der kantige Engländer, murmelte etwas von wegen, er sei dem britischen Kriegsministerium angeschlossen. Sie waren nicht in Uniform: Leamann trug einen schäbigen braunen Anzug, dessen Jacke über dem stattlichen Bauch spannte und nach oben verrutscht war, Broome einen elegant geschnittenen, kohlegrauen Anzug, der für das amerikanische Wetter ein wenig zu schwer war.
Jordan empfing sie in seinem prachtvollen Büro in Lower Manhattan. Leamann unterdrückte kleine Rülpser, während er Jordans herrliche Aussicht auf die Brücken bewunderte, die sich über den East River spannten - die Brooklyn Bridge, die Manhattan Bridge, die Williamsburg. Broome, der für Architektur offenbar wenig übrig hatte, sprach über das Wetter; es war ein wundervoller Herbsttag, der Himmel kristallblau, die Sonne leuchtend orange. Ein Nachmittag, der glauben machen konnte, daß Manhattan der imposanteste Ort auf Erden sei. Sie traten ans Südfenster und plauderten eine Weile, während sie den Frachtern zusahen, die in den New Yorker Hafen
Weitere Kostenlose Bücher