Double Cross. Falsches Spiel
hatte, um sie bei der Stange zu halten. Sie kehrte ins Bett zurück, lag im sanften Grau des Morgens wach und lauschte dem Regen, der gegen das Fenster trommelte. Sie dachte an Vogel, dachte an ihren Vater.
17
Gloucestershire, England
»Gratuliere, Alfred. Treten Sie ein. Ich bedauere, daß es so geschehen mußte, aber Sie sind jetzt ein ziemlich wohlhabender Mann.«
Edward Kenton streckte ihm mit einer abrupten Bewegung die Hand entgegen, als wolle er Vicary aufspießen. Vicary ergriff die Hand und schüttelte sie schwach, bevor er an Kenton vorbei ins Cottage seiner Tante huschte und das Wohnzimmer betrat. »Verdammt kalt draußen«, sagte Kenton, während Vicary sich im Raum umsah. Er war seit Kriegsbeginn nicht mehr hier gewesen, aber es hatte sich nichts verändert. »Ich habe eingeheizt. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, aber das Haus war der reinste Eiskeller, als ich ankam. Ich habe auch Tee gemacht. Beim Krämer im Dorf gab es heute morgen richtige Milch - ein seltener Genuß. Bin gleich wieder da.«
Vicary zog den Mantel aus, während Kenton in der Küche verschwand. Genaugenommen war es gar kein Cottage, Tante Matilda hatte nur darauf bestanden, es so zu nennen. Es war ein ziemlich großes Haus mit einem herrlichen Garten, umgeben von einer hohen Mauer. Matilda war in derselben Nacht, als Boothby ihm den Fall übertragen hatte, an einem Herzschlag gestorben. Vicary hatte zu ihrer Beerdigung gehen wollen, war jedoch am selben Morgen zu Churchill gerufen worden, um über die deutschen Funksprüche zu berichten, die Bletchley Park gerade entschlüsselt hatte. Er bedauerte es zutiefst, daß er ihr Begräbnis versäumt hatte. Seine Mutter war gestorben, als er erst zwölf war, und Matilda hatte ihn praktisch großgezogen. Sie waren immer sehr gute Freunde geblieben, und sie war auch der einzige Mensch, dem er von seiner Arbeit beim MI5 erzählt hatte. Was genau tust du eigentlich, Alfred? Ich fange deutsche Spione, Tante Matilda. Oh, wie schön für dich, Alfred!
Glastüren führten in den Garten hinaus, der jetzt, im Winter, kahl und trist war. Manchmal fange ich Spione, Tante Matilda, dachte er. Manchmal machen sie das Rennen.
Am Morgen hatte Bletchley Park eine weitere entschlüsselte Meldung von einem Agenten in Großbritannien geschickt.
Danach war der Treff erfolgreich verlaufen, und der Agent hatte den Auftrag übernommen. Vicary beurteilte seine Chancen, die Spione zu schnappen, zunehmend skeptischer. Am späten Vormittag hatte sich die Situation noch verschlimmert. Zwei Männer waren zum Verhör vorgeführt worden, die man bei einem Treffen am Leicester Square beobachtet hatte. Wie sich herausstellte, war der ältere der beiden ein hoher Beamter aus dem Innenministerium, der jüngere sein Liebhaber. Boothby hatte einen Tobsuchtsanfall bekommen.
»Wie war die Fahrt?« rief Kenton laut aus der Küche, das Geklapper von Geschirr und das Rauschen des Wasserhahns übertönend.
»Schön«, antwortete Vicary. Sir Basil hatte ihm widerwillig gestattet, einen Humber und eine Fahrerin des Verkehrsministeriums zu nehmen.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal eine Spritztour über Land gemacht habe«, sagte Kenton. »Aber ich vermute, daß Fahrzeuge und Benzin zu den Vergünstigungen in Ihrem neuen Beruf gehören.«
Kenton kehrte mit einem Teetablett zurück. Er war groß, so groß wie Boothby, hatte aber nicht dessen kräftige Statur und Behendigkeit. Er trug eine Brille mit runden Gläsern, die zu klein für sein Gesicht war, und einen dünnen Schnurrbart, der aussah, als sei er mit einem Augenbrauenstift aufgemalt. Er stellte das Tablett vor der Couch auf den Tisch, goß Milch in die Tassen, als handele es sich um flüssiges Gold, und fügte dann den Tee hinzu.
»Meine Güte, Alfred, wie lang ist das jetzt her?«
Fünfundzwanzig Jahre, dachte Vicary. Edward Kenton war mit Helen befreundet gewesen. Sie waren ein paarmal zusammen ausgegangen, nachdem Helen mit ihm Schluß gemacht hatte. Und wie es der Zufall wollte, war er vor zehn Jahren Matildas Anwalt geworden. Vicary hatte in den letzten Jahren, als die betagte Matilda nicht mehr allein zurechtkam, mehrmals mit ihm telefoniert, doch heute standen sie sich zum ersten Mal wieder persönlich gegenüber. Vicary wünschte, er könnte die Angelegenheiten seiner verstorbenen Tante regeln, ohne daß Helen wie ein Gespenst über ihnen schwebte.
»Wie ich höre, arbeiten Sie jetzt im Kriegsministerium?«
fragte Kenton.
»Das
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