Double Cross. Falsches Spiel
stimmt«, antwortete Vicary und schluckte den halben Inhalt seiner Tasse. Der Tee war köstlich, kein Vergleich mit der Brühe, die in der Kantine serviert wurde.
»Was genau tun Sie dort?«
»Oh, mal dies, mal das. Ich arbeite in einer sehr langweiligen Abteilung.« Vicary setzte sich. »Verzeihen Sie, Edward, ich will nicht drängen, aber ich muß schleunigst nach London zurück.«
Kenton nahm Vicary gegenüber Platz und fischte einen Stapel Papiere aus seiner schwarzen Aktentasche. Er leckte sich den dünnen Zeigefinger und blätterte bis zu der Seite, die er suchte.
»Ah, da haben wir es ja. Ich habe das Testament selbst vor fünf Jahren aufgesetzt. Einen Teil des Geldes und andere Besitztümer vermacht sie Ihren Cousins, aber den Hauptteil ihres Vermögens hinterläßt sie Ihnen, Alfred.«
»Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Sie vermacht Ihnen das Haus und eine hübsche Stange Geld.
Sie war eine sehr sparsame Frau. Sie hat ihr Geld mit Bedacht ausgegeben und sehr klug angelegt.« Kenton drehte das Papier herum, so daß Vicary es lesen konnte. »Das bekommen Sie.«
Vicary war verblüfft. Er hatte wirklich keine Ahnung gehabt.
Jetzt erschien es ihm noch verwerflicher, daß er wegen zwei deutscher Spione nicht bei ihrer Beerdigung gewesen war.
Kenton mußte seine Gedanken erraten haben, denn er sagte:
»Ein Jammer, daß Sie nicht zur Beerdigung kommen konnten, Alfred. Es war wirklich eine schöne Feier. Die halbe Grafschaft war da.«
»Ich wollte, aber es kam etwas dazwischen.«
»Ich habe hier ein paar Papiere, die Sie unterzeichnen müssen, um das Haus und das Geld in Besitz zu nehmen. Wenn Sie mir Ihre Kontonummer in London geben, kann ich das Geld überweisen und die Konten Ihrer Tante auflösen.«
Die nächsten Minuten brachte Vicary schweigend damit zu, einen Stapel juristischer Dokumente und Bankformulare mit seiner Unterschrift zu versehen. Schließlich sah Kenton auf und sagte: »Fertig.«
»Funktioniert das Telefon noch?«
»Ja, ich habe es benutzt, bevor Sie kamen.«
Das Telefon stand auf Matildas Sekretär im Wohnzimmer.
Vicary nahm den Hörer ab und sah Kenton an. »Edward, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es ist dienstlich.«
Kenton zwang sich zu einem Lächeln. »Schon gut, Alfred. Ich gehe inzwischen das Geschirr spülen.«
Irgend etwas an der Unterhaltung weckte in Vicary alte Rachegefühle. Das Fräulein vom Amt meldete sich, und er gab ihr die Nummer der MI5-Zentrale in London. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Verbindung hergestellt war. Eine Telefonistin des Departments verband ihn mit Harry Dalton.
Harry meldete sich. Er sprach mit vollem Mund.
»Was gibt es heute in der Kantine?« fragte Vicary.
»Gemüseeintopf, steht jedenfalls auf der Karte.«
»Irgendwelche Neuigkeiten?«
»Ich denke schon.«
Vicarys Herz schlug schneller.
»Ich habe noch einmal die amtlichen Einreiselisten durchgesehen, nur um sicherzugehen, daß wir nichts übersehen haben.« Die Einreiselisten waren ein wichtiges Instrument des MI5 im Kampf gegen deutsche Spione. Im September 1939, als Vicary noch an der Universität lehrte, hatte der MI5 mit Hilfe dieser Listen eine Großaktion gegen Spione und Nazi-Sympathisanten durchgeführt. Ausländer wurden in drei Kategorien eingeteilt: Ausländer der Kategorie C genossen alle Freiheiten; Ausländern der Kategorie B wurden gewisse Einschränkungen auferlegt - sie durften kein Auto oder Boot besitzen und nur begrenzt im Land herumreisen; Ausländer der Kategorie A galten als Sicherheitsrisiko und wurden interniert.
Jeder, der vor dem Krieg ins Land eingereist war, über dessen Verbleib jedoch keine Unterlagen existierten, wurde der Spionage verdächtigt und gejagt. Die deutschen Spionagenetze waren damit praktisch über Nacht enttarnt und zerstört worden.
»Im November 1938 reiste in Dover eine Holländerin namens Christa Kunst ein«, fuhr Harry fort. »Ein Jahr später wurde auf einem Acker in der Nähe eines Dorfes namens Whitchurch ihre verscharrte Leiche gefunden.«
»Was ist daran ungewöhnlich, Harry?«
»Irgend etwas an der Sache gefällt mir nicht. Die Leiche war stark verwest, als man sie ausgrub. Schädel und Gesicht waren zertrümmert. Alle Zähne fehlten. Man hat sie anhand ihres Passes identifiziert. Praktischerweise lag er bei der Leiche. Das paßt mir alles zu gut zusammen.«
»Wo ist der Paß jetzt?«
»Das Innenministerium hat ihn. Ich habe schon jemanden losgeschickt, um ihn zu holen. Sie sagen, daß das Foto etwas gelitten
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