Down Under - Reise durch Australien
roten Erde des Outbacks, dem unvermeidlichen Spinifexgras und hier und da von ein paar knorrigen Bäumen. Wir stapften einen der Hügel hoch, ließen uns oben nieder und konnten weit über das Land sehen. Je tiefer die Sonne sank, desto intensiver leuchtete ihr Rot, wie ich es bisher noch niemals gesehen hatte. Unter uns hüpften ein paar Kängurus vorbei. Schweigend beobachteten wir, wie der beste Film der Welt vor unseren Augen ablief. Als die Sonne versank, überließ sie den Himmel Millionen von Sternen. Spätestens jetzt wusste ich, dass mich in meinem Leben nur noch sehr wenig würde ärgern können. Nur die aufkommende Kälte zwang uns, unseren Logenplatz auf dem Hügel aufzugeben.
Als ich aufstehen wollte, durchfuhr mich ein stechender Schmerz.
»Au!«
Besorgt kam Colin zu mir, und ich stützte mich auf ihn.
»Was hast du?«
»Mein Bein … ich kann nicht auftreten!«
»Hat dich etwas gebissen?«
»Nein. Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.«
Ich hatte keinen Biss gespürt und auch sonst nichts bemerkt. Ich konnte nur einfach auf einmal nicht mehr auftreten. Mit Colins Hilfe humpelte ich den Berg hinunter, wo unser tour guide unter den besorgten Augen der anderen mein Bein untersuchte.
»Hm«, machte er. »Kein Einstich oder Biss zu sehen. Aber dein Knöchel ist dick wie ein Elefantenbein. Bist du vielleicht umgeknickt?«
»Nein. Ich bin einfach nur aufgestanden.«
Colin wirkte besorgt. Ich hatte mir eigentlich noch keine großen Gedanken gemacht, aber inzwischen schwoll mein Bein immer mehr an.
»Ich glaube schon, dass dich ein Tier gebissen hat. Manche Spinnen sind winzig, aber sehr unangenehm. Vielleicht ist es auch eine allergische Reaktion. Warten wir ab, wie es morgen aussieht. Ich mach dir erst mal einen kühlen Verband.«
Als ich abends im Zelt in meinem Schlafsack lag, ging mir durch den Kopf, dass das nächste Krankenhaus eine Tagesreise von uns entfernt lag. Ich konnte lange nicht einschlafen und wartete darauf, dass mein Fuß noch schlimmer wurde, sich vielleicht ein lähmendes Gefühl das Bein hinaufschlich oder, noch viel grauenvoller, dass gar eine Mutterspinne ihre Eier in meinem Bein abgelegt hatte und ein paar Tage später tausend kleine Spinnen aus einer Eiterbeule springen würden …
Zu Hause ruft man den Notarzt an, und die Sache ist bald geklärt. Aber hier? Selbst während einer geführten Tour bekommt ein vielleicht normalerweise kleines gesundheitliches Problem eine völlig andere Dimension. Abzuwägen, umzudrehen und den nächsten Arzt aufzusuchen, damit aber alle Teilnehmer zur Aufgabe zu zwingen oder weiterzufahren und womöglich zu verrecken, ist eine Frage, die man vielleicht vor Eintritt eines solchen Falles mit der Gruppe klären sollte.
Am nächsten Morgen war das Bein immer noch dick geschwollen, aber es hatte sich sonst nichts verändert. Ich fühlte mich wohl, hatte weder Fieber noch irgendein Anzeichen einer Vergiftung, also entschieden wir uns weiterzureisen. Ich konnte nur nicht auftreten. Und es wurde nicht besser. Während der gesamten Strecke bis nach Alice musste mich Colin oder einer der anderen Jungs unserer Gruppe huckepack tragen, wenn ich irgendwo hinwollte. Sogar aufs Klo ins Gebüsch. Wir probierten alles Mögliche aus, um die Schwellung zu lindern, aber nichts half. Also fand ich mich damit ab, bis Alice ein Pflegefall zu sein. Und ich sollte nicht der einzige bleiben. Am Abend des zweiten Tages hatten es manche von uns mit dem Bier etwas übertrieben. Nick, der Übermütigste aus unserer Gruppe, war aufs Dach des Landrovers geklettert, um uns selig und reichlich laut seine Meinung über die Schönheiten dieses Landes zu verkünden, als er den Halt verlor und nach hinten kippte. Mit dem Rücken voran knallte er mit voller Wucht auf den Outbackboden, der an dieser Stelle nicht nur aus rotem Sand bestand, sondern leider auch mit einer leeren Ketchupflasche garniert war, die jemand von uns noch nicht weggeräumt hatte. Ein Schrei, ein Knacken, und dann war Ruhe.
Nachdem wir gemeinsam versucht hatten, ihn wiederzubeleben, was uns schließlich mit einer letzten Dose Bier gelang, stellte sich heraus, dass Nick sich eine Rippe angebrochen hatte, was zwar nicht sonderlich bedrohlich, dafür aber umso schmerzhafter war. So kam es, dass Nick und ich die Fahrt auf dem Stuart Highway auf dem Vordersitz neben Colin verbringen durften, weil wir dort unsere Beine besser ausstrecken und bequemer sitzen konnten. Ich hielt während der Fahrt mein Bein aus dem
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