Down
vor seinem geistigen Auge ab. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, zuckte er fast unmerklich mit den Achseln. Sie nahm an, dass sie keine aufschlussreichere Antwort bekommen würde.
»Tut mir leid«, meinte sie.
»Es ist nur … nun, er liegt im Koma. Eventuell ist es kein Koma im medizinischen Sinn … egal … jedenfalls ist er an eine Beatmungsmaschine angeschlossen und das ist im Moment das Einzige, was ihn am Leben hält. Ich wollte dort sein, bevor die Ärzte entscheiden, ob sie den Stecker ziehen oder nicht.« Er sah noch einmal auf die Uhr. »In etwas mehr als 35 Stunden ist es so weit.«
»Sie können es immer noch schaffen.«
»Nein, ausgeschlossen. Selbst wenn wir innerhalb der nächsten zehn Minuten gerettet werden, stellen sie uns bestimmt 24 Stunden lang unter Beobachtung. Dann würde es Pressekonferenzen und Interviews geben und ich würde mich darum kümmern müssen, dass der Rest der Tour abgesagt oder verschoben wird. Es gibt viel zu viel Kram, der erledigt werden muss, und Potter ist nun mal der Typ, der sich darum kümmert.«
Sie lauschte der Mischung aus Traurigkeit, Wut und Entschlossenheit in seinen Worten und wusste nicht, ob sie ihn umarmen oder ohrfeigen sollte. »Versteh ich«, gab sie zurück. »Ich habe Hochzeiten, Geburten und Krankenhausaufenthalte verpasst, weil ich über irgendwelche Bands berichtet habe. Man macht diesen ganzen Mist, der einen menschlich wie das letzte Arschloch dastehen lässt, aber das liegt bloß daran, dass viele Leute nicht mehr wissen, was es bedeutet, Profi zu sein.«
Einer seiner Mundwinkel zuckte. »Eine Seelenverwandte.«
»Ich schätze schon. Trotzdem muss man hin und wieder tief durchatmen und sich aufs Menschsein konzentrieren.«
»Indem man mit dem Bassisten knutscht?«
Ein Kichern schüttelte sie, als sie aufstand. Sie wog den improvisierten Speer in der Hand. Sein Gewicht schien sich gleichmäßig zu verteilen und das Metall machte einen stabilen Eindruck. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie ihn diesem Monstrum in die Brust stieß. Wenn die Zeit gekommen war, fühlte sie sich dazu durchaus in der Lage. Der Speer würde es wahrscheinlich auch aushalten.
»Nun ja, also ich und Greg … ist er schon zurück?«
Potter suchte die Umgebung mit zu Schlitzen verengten Augen ab. »Ich habe ihn noch nicht gesehen. Aber es sind ja erst ein paar Minuten.«
»Mindestens eine Viertelstunde.«
»Shannon, er hat einen Menschen verloren, der ihm sehr nahestand. Und dort unten in der Grube haben wir vorhin möglicherweise Curtis’ Überreste gefunden. Wir wissen es nicht genau und Greg weiß es auch nicht. Ich würde sagen, geben wir ihm etwas Zeit. Solange dieses … Wesen nicht zum Wrack zurückkehrt, gibt es keinen Grund, sich Sorgen um ihn zu machen.«
Sie sah auf den Speer in ihrer Hand und dann auf die Metallstücke neben ihr, die sie eingesammelt hatte, um weitere Waffen daraus zu bauen. »Nein, das stimmt wohl.«
»Sag ich doch. Wie wär’s, wenn wir wachsam bleiben, aber trotzdem versuchen, uns ein bisschen zu entspannen?«
»Klar. Wie Sie meinen.«
»Ich besorge Essen und Wasser und schaue bei der Gelegenheit, ob unsere Schützlinge Hunger haben. Haben Sie Hunger?«
Shannon hatte vorher nicht darüber nachgedacht. Bei allem, was passiert war, hatte ihr Geist sich gar nicht mit ihrem Bauch beschäftigt. Doch jetzt zog sich ihr Magen zusammen, knurrte und gab ihr zu verstehen, dass sie gut daran tat, ihn schleunigst zu füllen.
»Großer Gott, ja.«
»Mal sehen, was ich auftreiben kann.« Potter humpelte davon und ging mit seinem gesunden Bein vorsichtig in die Knie, um die erste Wasserflasche aufzuheben, die er fand. Die Bewegung wirkte unbeholfen, fast schon waghalsig, aber es gelang ihm, sich wieder aufzurichten, ohne hinzufallen.
Shannon widmete ihre Aufmerksamkeit den Bäumen. Nicht ein Geräusch drang aus dem Wald und sie stellte sich die Frage, ob Greg wirklich allein sein wollte oder in Wahrheit jemanden brauchte, der ihm Halt gab. Sie fühlte sich albern, weil sie so dachte. Jemanden aus einem Flugzeugwrack zu befreien und einen Angriff zu überleben, machte Leute noch längst nicht zu verwandten Seelen, sondern einfach zu einer Zweckgemeinschaft, die in der wahren Welt wohl nicht mal einen Monat überdauern würde. Doch ihre Sorge war aufrichtig. Das wusste sie. Wenn sie sonst nichts hatte, blieb ihr zumindest diese Gewissheit und die Erinnerung an einen fantastischen Kuss.
Genervt von sich selbst verdrehte sie die Augen
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