Downtown Blues
Punks fragen soll. Vertage dann aber die Entscheidung. Manuels jüngster Sohn streicht um die Tische, wischt Bierpfützen auf klebrigen Plasterholzplatten zu Bieratollen.
Ich geb ihm das universelle Zeichen »dos cervezas, por favor«. Zu Ranson: »Dieser Hogie-Stinker, was weißt du über ihn?«
»He, sieht nicht so aus, als wärst du sonderlich erstaunt, dass ich diese Drogen-Infos nicht für dich habe.« Er kneift die Augen zusammen und fixiert mich. Wer hätte das gedacht? Diese DWNTN-Cops sind genauso paranoid wie wir bei der CF.
»Verdammt, Ranson, seit ich bei der C-Force bin, besteht mein Leben nur noch aus Verschlusssachen, was soll ich sagen –« Ich zuck mit den Schultern, bin doch nur ’n kleines Licht, keine Panik, Mann. »Also, was ist mit dem Typen?«
»Für ’n Bier erzähl ich dir doch alles.« Er reißt die Büchse Xoatl auf und nimmt einen langen Schluck. »Ist der Schoßhund von irgendeinem Uptown-Stinker, Jones oder so. Schätze, diese Typen wälzen sich gern mal ’n bisschen im Dreck, damit sie sich hinterher schön sauber fühlen.« Er lacht. Für ’nen Cop ist er ganz schön philosophisch.
»Weißt du was über diesen Jones?«
»Nada. Aber ich weiß was andres, steht noch nicht mal in der Akte, hab’s von meinem Informanten, Straßengeschwätz, aber wer weiß. Dieser neue Stoff soll in Chinatown sein.« Er drückt die leere Dose zusammen. »Mach was draus, wenn du willst, Donovan. Ich setz keinen Fuß ins Chink-Viertel.«
Ins Chinesen-Viertel zu gehen reizt mich auch nicht. Vielleicht wär’s günstig, eine neue Wette auf die Cookies zu platzieren. Ich winke Manuels Jungen – noch zwei Bier.
Wir trinken, reden über dies und jenes, und Ranson unternimmt den halbherzigen Versuch, mich abzuschleppen. Halbherzig deshalb, weil er es mir nicht übel nimmt, als ich ihn ausbremse. Ich weiß nicht mal, was genau ich zu ihm gesagt habe. Doch nach dem Austausch einiger Unverbindlichkeiten stehe ich auf der Straße.
Es wird früh dunkel in der Downtown. Der Smog und die hohen, alters-und dreckgeschwärzten Gebäude blocken das Licht. In der Uptown würde jetzt die Straßenbeleuchtung angehen, hier ist die Straßenbeleuchtung schon lange kaputt. Und selbst wenn sie noch funktionieren würde, wäre das noch längst kein Grund, Energie an die Bedürftigen zu verschenken.
Ich will nach meiner Stablampe greifen, doch mein Griff geht ins Leere. Mist, ich hab sie in meiner Nutzeinheit gelassen, dachte nicht, dass ich so lange auf der Straße sein würde. Ich muss wirklich noch viel lernen. »Konzentration ist Überleben, Donovan«, röhrt Reardons Stimme in meinem Kopf.
Überleben, darauf läuft es alles hinaus. Keine Wünsche, keine Träume, nur überleben. Nur die Art deines Überlebens kannst du dir aussuchen. Del hat das längst gewusst. VZR, abgetaucht, so als hätte sie nie existiert. Jeder hinterlässt Spuren, und das ist jetzt keine Reardon-Regel. Sie lebte in der Nähe von Santa Rosario und Sechster, der Grenze zum Mission-Distrikt. Bin nie da gewesen, die Art von Partnerschaft hatten wir nicht, keine gegenseitigen Besuche. Wird Zeit, das nachzuholen.
Meine Gedanken haben mich leichtsinnig werden lassen, haben mich verführt, das Jetzt zu ignorieren. Ich bemerke den viertürigen schwarzen BMW-Zenturion erst, als die hintere Tür direkt vor mir aufschwingt, und ich sehe die manikürten Finger, die sich locker um eine 36er Vollmantel Spezial schließen. So viel zu Reardons Drill.
»Die Zeit der höflichen Gespräche ist vorbei, CF-Agent.« Hogie. »Einsteigen!«
Ich zucke mit den Schultern und steige ein. Vielleicht ist das der einzige Weg, diesen Fall lebend zu beenden – sich treiben lassen und im richtigen Augenblick den Kopf einziehen. Ich kann nur hoffen, dass ich die beiden Optionen immer voneinander trennen kann. Der Zenturion fährt an, gleitet die Straße hinunter. Auf dem Millennium-Boulevard klinkt sich der Autopilot in den Uptown-Leitstrahl ein. Ungehindert passieren wir die Grenze.
So leben sie also, die Uptown-Privies. Unauffällig streicht meine Hand über die weichen Sitzpolster. Als kleines Mädchen hab ich vermutlich davon geträumt, einmal eine Decke aus so einem Material zu haben – weich und anschmiegsam. Mit so einer Decke zugedeckt, da hat man nie mehr Alpträume. Ja, davon habe ich bestimmt geträumt – falls ich jemals ein kleines Mädchen war.
Im Tempel der Glückseligkeit
Künstlich gealterter Granit schmiegt sich in die künstlich gestaltete
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