Downtown Blues
Landschaft mit genetisch angepassten Zierpflanzen. Dezent patrouillierende Miliz-Typen, vermutlich auch genetisch modifiziert und mit taktischen Implantaten aufgerüstet, kontrollieren das Grundstück, dazu jede Menge Motion-Tracker und BioMets. Das ist also Harding Jones’ Haus – nein, seine Festung – in der Uptown. Ich bin beeindruckt. Wirklich.
Zwanzig Minuten später: Ich bin immer noch beeindruckt. Sitze auf der Sonnenterrasse, trinke geeisten grünen Tee und verliere die Geduld. Was soll das Ganze? Ich überlege gerade, ob ich den dezent gepflegten Rasen etwas zertrampeln soll, als ich es höre: ein hohes Wimmern. Es schwebt in der Abenddämmerung, verstohlen, hilflos. Ich stehe auf, ein kurzer Blick – keine Miliz-Typen in Sicht –, und folge dem Ton. Er bricht ab. Sein Echo hängt noch sekundenlang in der Luft.
Ich stehe vor einem fensterlosen, schwarzen, glänzenden Würfel. Marmor, oder eine gute Imitation, sieben mal sieben Meter Kantenlänge. Ich strecke die Hand aus, berühre das Ding. Ist da ein leichtes Pulsieren? He, du bist in keinem SciFi-Film, das hier ist nur die kranke Realität, Donovan. Ich gehe um den Würfel herum, kann keinen Eingang entdecken. Meine Fingerspitzen suchen Fugen, Druckflächen – nichts.
»Der Erleuchtete wünscht Sie jetzt zu sehen, CF-Agent.«
Schuldbewusst zucke ich zusammen und drehe mich um. Sie steht einfach da, den Blick gesenkt. Ein Meter dreiundsechzig große Abwesenheit. Könnte Shirettes magersüchtige kleine Schwester sein. Sie dreht sich um und geht zum Haus zurück. Ihre Beine können sich nicht zwischen Schlurfen und Schweben entscheiden. Ich folge ihr, in meinen Ohren immer noch dieses Wimmern, das mit jedem Schritt, den ich mich von dem schwarz glänzenden Würfel entferne, durchdringender zu werden scheint. Ich habe meine Hände schon gehoben, um sie auf die Ohren zu pressen, als mir bewusst wird, was ich da gerade tun will. Dieser Ort ist voller Paranoia und sie ist ansteckend.
»Ich verkaufe Glauben, Hoffnung und ein bisschen Seelenfrieden, CF-Agent, das sind Waren, die immer Abnehmer finden.«
Seit ungefähr zehn Minuten stehe ich in einem riesigen Zimmer – teuer eingerichtet und mit kitschigen Indien-Andenken übersät – Harding Jones – bärtig, in rotem Kaftan – gegenüber. Seit ungefähr neun Minuten versucht mich der Schwager des Bürgermeisters und selbsternannte Guru auszuhorchen. Doch ich pariere jede Frage mit einer Belanglosigkeit. Das hab ich von Del gelernt. Jones gibt sich mal gekränkt, mal missverstanden oder herablassend. Im Augenblick sind wir gerade beim Thema Selbstdarstellung. Und ich frage mich die ganze Zeit, was ich hier eigentlich soll.
»Auch Opfer?« Ich muss kotzen, wenn ich seinem Geschwätz noch länger zuhören muss.
»Ohne Opfer kein Seelenfrieden, das war schon immer so.«
Ich bin sprachlos vor so viel menschenverachtendem Zynismus. »Was ist mit Shirette Gover?«, würge ich schließlich hervor. »War sie auch so ein Opfer für den Seelenfrieden?«
»Mizz Gover hat den Schoß der Kirche verlassen«, sagt er salbungsvoll. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, CF-Agent, mein Amt …« Dreht sich um und geht.
Wie sie mich anwidern, diese neuen Heiligen, diese selbsternannten Weltenretter. Ich will ihm hinterher, ihm meine Faust auf die aristokratische Nase knallen, will das Splittern des Knochens hören. Will mit jedem weiteren Fausthieb diese angeborene Überheblichkeit zermatschen. So was tut man doch nicht, CF-Agent. Ich dränge meine Wut zurück – für sie ist hier kein Platz – und wende die Atemtechnik an, die mir Reardon beigebracht hat. Später, sage ich mir. Für Leute wie Harding Jones gibt es immer ein Später. Ich bin schon ganz gut darin, mich zu belügen.
Eine Hand greift nach meinem Ellenbogen, ich unterdrücke den Reflex, den dazugehörigen Arm zu brechen, und dreh mich um. Es ist einer dieser aufgerüsteten Bodyguards. Das Gesicht ausdruckslos, ruckt sein Kinn leicht in Richtung Tür. Der Druck um meinen Ellenbogen wird leicht verstärkt. Ich zucke mit den Schultern und setze mich in Bewegung.
Hinter mir ein verstohlenes Scharren. Da ist sie wieder. Wie eine kleine, hohläugige Elfe steht sie da und starrt mich an. Pupillen geweitet, der Atem flach. Lautlos gebe ich ihr ein Versprechen: I’ll be back, baby.
Zwei Tage später. Hab mich ein bisschen auf dem Schwarzmarkt umgetan. Das Spesenkonto belastet. Hey, wozu hat man Sonderstatus?
Der schlaue Chink hat mir ein paar
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