Downtown Blues
Sessel zu heben.
Als ich schon fast draußen bin, setzt er noch einen drauf. »Wenn’s nach mir gegangen wäre, ich hätte Sie aus der C-Force geschmissen. Sie machen nichts als Ärger.«
Alle Innendienstler haben es gehört. Köpfe drehen sich nach mir um, als ich zu meinem neuen Platz schlurfe. Ich lasse meine Ausrüstung auf die Schreibtischplatte knallen. Wenigstens meine Waffe konnte ich behalten.
»Willst du die nächsten Wochen hier rumhängen und dich unbeliebt machen, Donovan?«
»Kenn ich dich?« Ich werfe dem Sprecher einen giftigen Blick zu. Ärgere mich im selben Moment, weil ich mir eine Blöße gegeben habe. Nie zeigen, wenn man geschlagen ist, das hab ich schon vor Jahren auf der Straße gelernt. Wie konnte ich es vergessen? Dieser Unfall – ich habe beschlossen, es weiter einen Unfall zu nennen – hat mich mehr umgehauen, als ich dachte. Sechzehn Tage. Mir fehlen sechzehn Tage meines Lebens! Und ich kann nicht einmal ahnen, was ich sonst noch verloren habe.
Chan hat den Treffpunkt vorgeschlagen. Eine Garküche mitten in Chinatown.
Chinatown, das heißt Touristenfallen und verwinkelte Einbahnstraßen, Sackgassen, Geheimgänge, Triaden und Opiumhöhlen. Hier hat sich noch nie viel verändert. Haben Tradition, die Chinesen. Tradition hat auch ihre Abneigung gegen Langnasen.
Seit sieben Minuten stehe ich nun hier, von feindseligen Blicken durchbohrt, und warte und werde hungrig.
»Gehen wir.«
Da steht er. Hält zwei dampfende Näpfe in den Händen und grinst mich an. Wie schafft er es immer wieder, sich so anzuschleichen? Der Typ ist so leise und unauffällig wie eine schwarze Katze in der Nacht. Woher weiß ich, dass er sich anschleicht?
»Bist du mir schon mal gefolgt?« Ich weiß, dass ich mir mit dieser Frage schon wieder eine Blöße gebe. Doch wie kann ich die verlorene Zeit sonst wiederfinden?
»Ho-Chi-Minh-Straße, die Rote Pagode, weißt du noch?«
Er gibt mir bereitwillig Auskunft und macht sich nicht über mich lustig, wie ich befürchtet hatte.
»Im Krankenhaus …« Ich stocke, merke, wie mir die Handflächen feucht werden. »Wir haben uns schon mal darüber unterhalten, oder?«
Er nickt. »Mach dir nichts draus. Mit der Zeit wirst du’s wieder auf die Reihe kriegen.«
Wir sitzen auf einem Mäuerchen, beobachten die vorbeischlendernden Leute und essen kantonesisches Huhn. In Chans Gesellschaft ernte ich keine bösen Blicke mehr. Genüsslich zerknacke ich frisches Gemüse. Ich glaube, das Huhn ist sogar aus echtem Fleisch. Doch darüber will ich lieber nicht so genau nachdenken.
Es ist angenehm warm. Ich fühle mich wohl. Habe das Gefühl, unter den fremden Menschen unsichtbar zu sein. Nur ein weiteres Gesicht in der Menge. Bin ich jetzt leichtsinnig? Ich weiß ja nicht mal, ob Chan nicht hinter dem Anschlag steckt. Aber kann ich wirklich durchs Leben gehen und jedem misstrauen?
»Im General sagten sie, du hast mich gefunden. Was hast du gesehen?«
»Ein Yakuza auf Blades. War zu schnell. Hab nur gesehen, wie du zu Boden gegangen bist.«
»Ein Yakuza? Warum sagst du das?«
»Nur so ein Gefühl. Konnte nicht viel erkennen.« Er zuckt bedauernd die Schultern. »Was sagt die C-Force?«
»Du weißt, dass ich dir das nicht sagen könnte, selbst wenn sie was sagen würde …«
»Verstehe.« Er knüllt den Becher zusammen und wirft ihn in den Recycler. »Und was machen wir als Nächstes?«
»Wir?«
»Ich dachte, wir sind jetzt Partner.« Er sieht mich gekränkt an. »Du hast mich nicht mal gefragt, was ich neulich für Informationen hatte.«
»Ist das jetzt noch wichtig?« Da ist sie wieder, diese Müdigkeit, gemischt mit Resignation. »Ich darf Innendienst schieben. Klingt spannend, was?«
Er zuckt wieder die Schultern. Wirft mir einen schrägen Blick zu. »Ich könnte mich für dich umhören. Fußarbeit machen.«
Ich merke, wie viel ihm daran liegt. Doch darum zu bitten lässt sein Stolz nicht zu. Ich überlege. Vielleicht brauche ich wirklich jemanden, der auf den Straßen die Augen für mich offen hält. Wer auch immer es auf mich abgesehen hat, wird jetzt nicht plötzlich aufgeben.
»Ich frage mich, woher sie wussten, wo ich war«, denke ich laut.
Chan sieht mich entgeistert hat. »Willst du mir etwa sagen, dass du das nicht weißt?«
»Hey, was soll das? Nur weil ich dich nicht sofort gesehen habe, heißt das noch lange nicht, dass mich jeder unbemerkt verfolgen kann!«
»Nicht sofort gesehen. Klar.«
Er grinst wieder dieses unverschämt selbstsichere
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