Downtown Blues
von seinen Schuhen zu kriegen. »Du weißt hoffentlich, was das bedeutet.«
»Weiß ich nicht, interessiert mich nicht, Klappe halten.«
Er redet unbeirrt weiter. »Jetzt musst du diesen Wunderantrieb finden, sonst musst du die Schuhe bezahlen.«
Ich überhöre das und aktiviere den Lichtverstärker. Klasse Idee. Jetzt sehe ich die Ratten und Kakerlaken, anstatt sie nur zu hören. Ich laufe noch schneller. Verdammt, wie viele Stockwerke hat dieses Gebäude denn noch? Womöglich sind wir schon längst an der Straßenebene vorbei und laufen durch die Sublevels. Unsinn. Ich bleibe stehen und hole einige Male tief Luft. Die anrollenden Panikwellen weichen zurück.
Chan sieht mich besorgt an.
»Keine Kondition«, grinse ich und laufe wieder los.
Und dann sind wir plötzlich angekommen. Ein rostiges, in den Angeln hängendes Gittertor. Ein kräftiger Tritt und wir stehen auf der Straße. Eine Stunde später: Wir sind beim Pfandhaus.
… das war, als sie in die Große Allianz eingingen. Aber als meine Gang von den Demons übernommen wurde, machte ich die Biege.
Ich mag’s lieber klein und überschaubar.
Warum? Hey Mann, was brauch ich einer von zwanzig Lieutenants für die verfickten Demons zu sein, wenn ich für meine Jungs der Pachuco bin, kapiert?
– Jesus Estevez, Tagebuch eines toten Aussteigers
Kein schwarzer Caddy zu sehen – noch nicht. Drei Häuser weiter gähnt mich das ausgeräumte Untergeschoss eines Microsoft-Vertragshändlers an. Kühlschränke kann man hier schon lange nicht mehr kaufen, nur noch Rattenscheiße.
»Da rein«, sage ich zu Chan.
Genau, mein Spürhund steuert den Ersatzwagen, einen kotzgelben IBM-Honda Convertible mit aufgesetzten Heckflossen und abgeschabten Sitzbezügen mit Raubtiermuster. Hat die Force wohl irgendwann einem Provinzdealer abgenommen. Heißes Gefährt, wenn man auf zwanzig Jahre alten Schrott steht. Viel zu auffällig, um es auf die Straße zu stellen.
Chan steuert den C-Jet durch das zerbrochene Schaufenster und landet sicher. Sagte ich es schon? Mein Spürhund hat viele Talente. Wenn er mir noch mal das Leben rettet, mache ich ihn vielleicht wirklich zu meinem Partner. Vielleicht, ich sagte, vielleicht. Oder ich kaufe ihm neue Schuhe.
Ich steck die X-matic ins Holster – Dienstwaffe der City Force für den verdeckten Einsatz, handlich, zuverlässig, hohe Durchschlagskraft, nur für Agenten mit Sonderstatus, kleines Geschenk von Morales – und greife mir eine Hand voll Magazine. Chan das Köpfchen, Donovan die Waffen und am Ende der Straße ein Topf voll Gold.
Los Lobotones dröhnen über die Kreuzung Siebte Ecke Westside: »Living La Vida Loca.« Chan schnippt unwillkürlich mit den Fingern. Er steht auf diese Barrio-Bands. Juanitas Kreischen führt uns direkt zu Abel Melinskys Pfandhaus. Die flackernde Leuchtreklame ist ausgeschaltet, das Gitter dreiviertel hochgezogen.
Halbdunkel und Hitzestau im Innern des Ladens. Auf dem Tresen türmen sich antike Armbanduhren, protzige Schmuckstücke, Designer-Waffen und verziertes Drogenbesteck. Fette Beute. Leicht verkäufliche Handelsware, nicht nur im Barrio.
Hinter dem Tresen: ein gelangweilter Punk, schwarzgelber Irokese, löchrige Retro-Jeans und Netzhemd, mit den erfahrenen Augen der Straßenratte, die über mich und meinen Begleiter huschen. Unausgesprochene Fragen. Ein Chinese im Barrio, ein Cop? Seine Hand zuckt zum Ladentisch, schiebt ziellos die Gegenstände durcheinander, überlegt, ob er die Ware verstecken soll. Scheiß auf die Cops, zu heiß für so viel Action.
»Du bist Kiefer Velasquez«, behaupte ich.
»Stimmt, Zuckerpuppe. Was soll’s sein?« Er bemüht sich vergeblich, die Zähne auseinander zu kriegen. Versucht sich cool zu geben, ist aber höllisch nervös.
Gut für mich. Ich baue mich vor dem Tresen auf, werfe ihm finstere Blicke zu und starte meinen Böser-Cop-Rap. »Mein Partner ist eigentlich ’n ganz Schlauer. Heute hat er sich zum ersten Mal geirrt. Und weißt du warum, Arschloch?«
Der Punk schüttelt zaghaft den Kopf.
»Er hat gesagt, du bist ’ne verdammte Straßenratte, aber das stimmt gar nicht, oder?«
Der Punk blinzelt irritiert. Er hat keinen Plan, was hier abläuft.
Ich beuge mich noch weiter über den Ladentisch. »Du bist eine verdammte Packratte, stimmt’s?«, brülle ich. »Packst ein, was dir unter die Finger kommt, egal, ob ’n Pfandschein dran klebt oder nicht.« Ich drehe mich zu Chan. »Was meinst du, sollen wir die Cops rufen?«
Chan zuckt lässig die
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