Downtown Blues
Schultern. »Den kriegen wir auch so klein.«
Der Punk blinzelt. Ich knalle die Handfläche auf den Tresen. Der Punk zuckt zusammen. Jede Wette, der hat ein paar krumme Deals laufen, ist das personifizierte schlechte Gewissen. Wird immer besser für mich.
»Donovan, City Force. Was weißt du über Abel Melinsky?«
»Ein CF-Agent?« Glotzt debil, das Kinn nach unten geklappt.
»Reiß dich zusammen«, zischt Chan. Er balanciert beiläufig ein Wurfmesser mit falschem Perlmuttgriff und scharfer Klinge.
»Sie werden wohl nicht mehr mit ihm sprechen können«, nuschelt er. Rastlose Finger huschen über den zerschrammten Tresen, schieben ein flaches Päckchen hin und her. »Letzte Nacht haben ihn so ein paar verrückte Barrio-Killer erwischt, direkt vor der Tür.«
»63er Caddy, hologestylt, Fahrerflucht?«
Er zuckt zusammen. Ich setze noch Verfolgungswahn auf meine Liste. Chan geht zur offenen Tür, lehnt sich an den Rahmen, behält die Kreuzung im Auge. Wachsam, unsichtbar im Schatten, im Feindesland, im Barrio-Territorium.
»Schwarzer Caddy?« Seine Zunge huscht über trockene Lippen. »Woher wissen Sie …?«
»Bin manchmal ganz gut im Raten.« Ich sehe ihn scharf an. »Du hast gesehen, wie’s passiert ist, stimmt’s«?
Er schüttelt abwehrend den Kopf. »Ich will keinen Ärger mit denen.«
Das will ich nicht hören. Ich schlage wieder auf den Tresen. »Stimmt’s?«
»Ja, stimmt.« In seinen Augen steht der Schrecken der letzten Nacht. Er brabbelt jetzt. »Sahen aus wie Hornissen. Aber die kenn ich doch alle.«
Ich schlender durch den Laden, gelangweilt, frustriert, noch eine Sackgasse. Sachen in staubigen Regalen, gebracht um zu bleiben, Erinnerungsstücke, Plunder – kleine geschnitzte Figuren auf einer Unterlage mit Quadraten. Chans Bude, ein Schachspiel. Bei Abel vorbeischauen, mit ihm über neues Schachprogramm sprechen.
»Gestern Abend, hat Melinsky da noch spät einen Kunden gehabt?«
Er denkt nach, schwere Frage. »Nö, ich glaube nicht.« Denkt weiter nach, ist ganz zahm, ganz braver Bürger. »Aber dieser alte Spacer war da und hat meinem Onkel was vorbeigebracht, glaube ich.«
»Wo ist es?«
Verständnisloser Blick. »Hä? Was?«
»Was Potter vorbeigebracht hat«, erkläre ich langsam. »Wo ist es?«
»Er war hier und ging wieder.« Stummes Schaudern. In dieser Stadt hat jeder seinen ganz persönlichen Alptraum. »Ihn hat er auch erwischt, dieser schwarze Caddy. Er war nur ein paar Schritte gegangen. Hab’s durch die Tür gesehen.« Er schüttelt den Kopf. »Ich kenn sie doch alle.«
Großartig, er brabbelt schon wieder. »Er hat nichts dagelassen?« Ich versuche ihn wieder auf die Spur zu bringen. »Denk nach.«
Erneutes Kopfschütteln. Hat zu viel Angst, der kleine Punk, um sich Storys auszudenken, ist zu weit draußen zum Lügen.
»Und was ist das?«
Nervöse Finger bewegen es unablässig über die Theke: ein kleines, flaches Päckchen mit Prioritätssiegel von BikeXpress. Die Bewegung stoppt. Er hebt es hoch, sieht es an, als würde er es zum ersten Mal sehen.
»Das kam heute Morgen, mit Kurier, war für meinen Onkel.« Resigniert. »Schätze, er braucht’s wohl nicht mehr.« Er schnieft. Jetzt erst ist ihm bewusst, was passiert ist. Der Tod auf der Straße ist so viel blutiger als im TV. Er schiebt mir das Päckchen rüber. Zögert kurz. Wieder ein Traum ausgeträumt. Willenlose Finger überlassen es mir.
Ich stecke es unbesehen ein. Kommt mir schwer vor für so ein kleines Päckchen. Was drin ist? Keine Ahnung. Vielleicht ein Dekodierprogramm für Mutter Gans. Sicher, nur eine Vermutung, doch auf einmal könnte eine Behauptung draus werden. Cop-Instinkt, so nannte es DelMonico.
Ich sehe zu Chan, er beobachtet mich. Hat er gesehen, wie ich das Päckchen eingesteckt habe? Verdammt. Er soll nicht denken, dass ich ihn austricksen will. Ich kenne dieses Gefühl viel zu gut. Ich ziehe das Päckchen wieder aus der Tasche, breche das Siegel auf. Drinnen ist ein flaches schwarzes Kästchen, sieht aus wie eins von diesen kleinen Notebooks, wie man sie früher hatte. Ich drehe es zwischen den Fingern, suche nach dem Öffnungsmechanismus. Gibt keinen. Seltsam. Ich sehe wieder zu Chan. Er beobachtet mich immer noch, grinst, und nach einem letzten Blick zur Kreuzung schlendert er zum Tresen, nimmt mir das Kästchen aus der Hand und drückt auf einen verborgenen Verschluss. Feierlich gibt er mir das Kästchen zurück, doch ich werde das Gefühl nicht los, dass er sich innerlich vor
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