Downtown Blues
angehetzt, packt mich am Arm. »Los, komm, Donovan. Wir machen uns hinten raus.«
Er schnappt sich die Zip mit dem Schachprogramm, hat Nerven so dick wie ’n verdammter Specksteinbuddha. Wir zwängen uns durch ein enges Hinterhoffenster, knallen in einen Haufen Müll, hetzen über den Hinterhof zum Microsoft-Showroom, dreckig und stinkend springen wir in den kotzgelben Convertible und starten durch. Wirklich, ’n toller Abgang. Was soll’s, noch leben wir.
Zu früh gefreut. Da kommt auch schon Verstärkung. Röhrende, illegale Benzinmotoren, Sirenengeheul. Plötzlich bricht auf der Westside Ecke Siebte die Hölle los. Ich weiß nicht, wie sie das geschafft haben, aber sie lassen eine ganze verdammte Armee Barrio-Killer aufmarschieren. Clever gemacht von SpaceCraft. Die wollen J.C. Potters FTL nicht, die brauchen nur den ganzen miesen Laden in die Luft zu jagen und schon sind sie ihre Sorgen los.
Glatte Sache. Bandenkrieg, Straßenkämpfe im Latino-Viertel. Pech, hat ’n paar Outsider erwischt. City Force-Agenten? Wieder Pech, passen nicht mal auf ihre eigenen Leute auf. Schalt auf den anderen Kanal, Harry, heute läuft Super Bowl, hab zwanzig Scheine auf die Cougars gesetzt.
Ja, wirklich clever von SpaceCraft. Dumm nur, dass der City Force-Agent und ihr Spürhund in ihrem kotzgelben IBM-Honda schon zwei Blocks weiter sind, und den FTL haben sie auch in der Tasche – hoffe ich.
»Wohin jetzt?«
»Uptown«, keuche ich, immer noch atemlos. Ich verrenke mir den Hals. Werden wir verfolgt? Nein. Wieder mal Glück gehabt.
King-Presley-Boulevard, dreiundfünfzig Minuten später: ein Apartmenthaus, zwei Sicherheitstypen mit abweisenden Mienen, unbeeindruckt von meiner CF-Plakette.
»Brubaker? Nie gehört.«
Ich habe keine Zeit für Spielchen. Was soll’s? Ich drücke ihm meine H&K Special unters Kinn und blaffe: »Ich will zu Brubaker, Stephen, kapiert?«
Ich bohre die Mündung noch etwas nachdrücklicher in seinen Hals und sehe, dass die Ladeanzeige auf Null steht. Eine wirklich beeindruckende Leistung, CF-Agent Donovan. Der Sicherheitstyp hat’s aber nicht bemerkt.
»Hat das Penthaus, war aber schon seit Wochen nicht mehr da«, quetscht er raus. Scheiße, was jetzt? Aber er wollte mich doch sprechen, dringend sogar. Ich kapier das nicht. Wo soll ich ihn noch suchen? Ich winke Chan und gehe zurück zum CJ. Diesmal starte ich den Wagen und gebe als Ziel die DWNTN-Zentrale an. Bis wir da sind, ist mir vielleicht was eingefallen.
Morgengrauen, und ich bin immer noch nicht schlauer. Die Endstufe vielleicht? Nein. Halt, da war doch eben was. Morgengrauen, leere Straßen, nur Brubaker und ich auf dem Weg zu Reardon. Ja. Aber wo wohnt der? Ich kann mich nicht mehr erinnern.
»Denk nach, verdammt, denk nach!« Ich schlage mir vor die Stirn. Als ob das was nützen würde. Chan sieht mich von der Seite an, behält aber seine Kommentare für sich. Gut für ihn. Plötzlich habe ich die Straße vor Augen, dann das Abbruchhaus an ihrem toten Ende. In Gedanken gehe ich den Block bis zur Kreuzung zurück, sehe ein umgestürztes Straßenschild: »E-Street«. Ich programmiere den Autopiloten neu.
Chan liest die Koordinaten. »E-Street, was wollen wir da?«
»Meinen alten Ausbilder treffen, Brubakers Ex-Partner.«
»Ihr habt ’ne Menge Ex-Partner bei der C-Force«, wundert er sich.
»Und? Passt dir was nicht?«
»Hey, hab nur laut gedacht, alles cool.«
Warum redet er nur so mit mir? Ticke ich wirklich so leicht aus? Wie war das noch, was hat mich DA Brannigan gefragt? ›Waren Sie schon immer so aggressiv?‹
»Warum setzt du mich nicht in Chinatown ab. Dieser Reardon wird nicht sehr erfreut sein, wenn du mitten in der Nacht bei ihm aufkreuzt und einen Fremden mitbringst.«
Klingt vernünftig. Aber zur gleichen Zeit schlägt mein Paranoia-Alarm an. Woher kennt Chan den Namen meines Ausbilders? Ich frage ihn.
»Steht natürlich in deinem File.«
Natürlich.
Es ist schon hell, als ich Chan bei der Star-Wars-Arkade absetze. In den dreiundvierzig unteren Stockwerken des Gebäudes laufen die VR-Games und Wettmaschinen heiß, in den achtzehn oberen spiegelt sich die trübe Morgensonne. Ihr Anblick erinnert mich an die Müdigkeit in meinem Kopf und meinem Körper. Doch noch ist diese Schicht nicht zu Ende.
»Ich habe schon auf dich gewartet«, sagt Reardon. Hellwach steht er in der Tür. »Was hat dich aufgehalten?«
»Die übliche Scheiße«, sage ich vage. »Du kennst ja den Laden.« Glaubt er, er kann mich
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