Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
Vom Netzwerk:
gepredigt oder gebetet oder auf dem Harmonium geübt hatte. Ich hätte gern eine Aufnahme im Zeitraffer gesehen, die eine Woche Kommen und Gehen in, sagen wir, sechzig Sekunden zeigte, nur um zuzuschauen, wie das Kirchenportal auf und zu ging und das Gebäude rhythmisch Ströme von Kirchgängern ein- und ausatmete.
    Die Kapelle war rappelvoll, drei Fernsehkameras standen auf Stativen hinten, und sämtliche Sitzplätze schienen besetzt zu sein. Ich überflog die Bänke und suchte einen freien Platz, doch ich fand keinen. Einen Augenblick später kam jedoch ein Platzanweiser von vorne den Mittelgang herunter und winkte mich nach vorn. Es waren keine Reihen für die Familie reserviert – Novak war als junger Mann kurz verheiratet gewesen, hatte es im Nachruf in der Zeitung geheißen, doch er hatte keine Kinder –, und so fand ich mich in der ersten Reihe auf einem Platz eingezwängt, der besser geeignet gewesen wäre für jemanden, der halb so breit war wie ich. Der ältere Mann zu meiner Linken, ich schätzte ihn auf siebzig, tat so, als bemerkte er mich nicht, während er sich gleichzeitig möglichst dünn machte und mit viel Getue, aber ohne merklichen Platzgewinn für mich, von mir wegrutschte. Zu meiner Rechten nickte eine noch ältere Frau – sie war sicher achtzig oder älter – leicht, als ich mich setzte, und wandte sich dann zu meiner Überraschung mir zu und sprach mich an. In einem Bühnenflüsterton, der wahrscheinlich noch drei Reihen hinter uns zu hören war, sagte sie: »Na, Gott sei Dank ist hier wenigstens einer unter sechzig. Wir haben Glück, wenn nicht drei oder vier von uns während des Gottesdienstes den Löffel abgeben.« Ich hätte am liebsten gelacht – sie mochte alt sein, doch sie war auf Draht und lustig –, aber es gelang mir, mich auf ein Lächeln zu beschränken, denn ein Lachen schien mir weder dem Ort noch der Gelegenheit angemessen zu sein.
    Es gab keinen Sarg; stattdessen stand auf dem einfachen Holzaltar eine schlichte Messingurne. Wenige Stunden nachdem das FBI die Iridiumquelle aus Knoxville weggeschafft hatte, hatte Garcia im Gesundheitsministerium in Nashville angerufen, das daraufhin einen Medical Examiner geschickt hatte, um die Obduktion zu Ende zu bringen, sodass Novaks Leiche, die auch nicht frischer wurde, aus dem Leichenschauhaus weggebracht und eingeäschert werden konnte. Es hatte drei Personen erfordert – Garcia, Duane Johnson und Dr. Sorensen –, um den Rechtsmediziner aus Nashville davon zu überzeugen, dass Novaks von Radioaktivität zerfressener Körper nicht gefährlicher war als jede andere Leiche. Ich hatte gehört, wie Johnson ihm am Telefon die physikalischen Zusammenhänge erklärte. »Stellen Sie sich die Gammastrahlungsquelle als einen sehr starken Magneten vor, der auf Ihrem Tisch liegt«, hatte er gesagt. »Er strahlt ein starkes Energiefeld aus, bei einem Magneten ist es ein Magnetfeld, bei Iridium-192 Gammastrahlung. Wenn der Magnet Ihrem Computer zu nahe kommt, wird die Festplatte getoastet. Wenn die Gammastrahlungsquelle Ihrem Körper zu nahe kommt, nun …« Er verstummte, wahrscheinlich bedauerte er angesichts unserer Sorge um Garcias Hände das Wort »getoastet«. »Wie auch immer«, fuhr er fort, »sobald die Quelle weg ist, ist sie weg. Es bleiben keine Magnetschlieren auf Ihrem Tisch zurück, die nur darauf lauern, Ihre neue Festplatte zu zerstören. Weder im Waschbecken noch an der Leiche ist Radioaktivität.«
    Am Ende jedoch war es wahrscheinlich nicht der Vergleich mit dem Magneten, der den nervösen Rechtsmediziner aus Nashville überzeugte, sondern Sorensens Angebot, ihm im Leichenschauhaus zu assistieren. Es war eine Sache, »Es ist vollkommen sicher« zu sagen, doch eine ganz andere, »Ich bin dabei, während Sie es machen« zuzusichern. Und für Sorensen, ging mir auf, war der Rest der Obduktion wahrscheinlich eine interessante Gelegenheit, mehr über die spezifischen Auswirkungen einer tödlichen Gammastrahlendosis zu lernen.
    Die Leiche war von meiner Freundin Helen Taylor in einem der schimmernden Einäscherungsöfen im East-Tennessee-Krematorium eingeäschert worden. Auch Helen hatte die Vorstellung nervös gemacht, mit der Leiche umzugehen. Ich war Sorensens Beispiel gefolgt und hatte ihr angeboten, die sterblichen Überreste persönlich zu ihr rauszubringen. Sie hatte mir für das Angebot gedankt, aber gesagt, das sei nicht notwendig. Ich wusste, dass Novaks sterbliche Überreste und auch seine Asche vollkommen sicher

Weitere Kostenlose Bücher